Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
einbildete, dass der Morgen mit frischem Brot beginnen musste, lautlos ausdem Bett und aus dem Haus, erledigte seine Einkäufe und kam dann wieder zurück unter die Decke, wo er auf einen Ellbogen gestützt dalag, sie betrachtete und darauf wartete, dass sie die Augen aufschlug. Manchmal wachte sie nicht rechtzeitig auf, dann weckte er sie mit Zärtlichkeiten, und dabei konnte es vorkommen, dass sie sich beide danach die Krümel der zerquetschten Wecken von den Körpern pickten und die Bettlaken gewechselt werden mussten. Sie erinnerte sich an jenen denkwürdigen Morgen, an dem es einer von Cyprians Lieferanten besonders gut mit ihm gemeint und eines der alten böhmischen Rezepte an einem süßen Teil ausprobiert hatte, indem er das als Powidl bekannte, dick eingekochte Zwetschgenmus in sein Inneres gefüllt hatte. Keiner von ihnen beiden hatte es gewusst, was zu einer mittleren Powidl-Katastrophe geführt hatte, der man nur dadurch hatte beikommen können, dass man die Schlafzimmertür verbarrikadiert und sich das klebrige Zeug gegenseitig abgeleckt hatte … Ihr Lächeln wurde breiter, als ihr Herzschlag sich beschleunigte. Ihre Hand suchte nach Cyprian, und als sie ins Leere griff, öffnete sie überrascht die Augen. Seine Bettseite war leer.
Agnes richtete sich auf. Ein Korb mit Brot stand direkt vor ihren Augen. Schräges Morgenlicht fiel in den Raum, golden und zart. Verwirrt setzte sie sich auf und sah sich um. Cyprian saß auf der Fensterbank, vollkommen angezogen. Sie konnte nur seine Silhouette sehen. Das Licht ruhte auf den Kanten seines Gesichts, auf seinem halblangen Haar, dem Bart. Sie musste die Augen zusammenkneifen; er hatte sich so postiert, dass das Sonnenlicht auf sie fiel. Plötzlich fühlte sie sich unwohl. Sie zog die Decke nach oben.
»Nicht«, sagte er. »Gönn mir deinen Anblick.«
»Was ist los? Warum kommst du nicht wieder ins Bett?«
Sie sah schwache Spitzlichter in seinen Augen funkeln. Er lächelte, und die hellen Kanten des Morgenlichts auf seinen Zügen zersplitterten in tausend Fältchen. Seine Gestalt warmit den Jahren eckiger geworden, in seinem Bart waren erste graue Strähnen zu sehen, und das Haar, das er irgendwann einmal hatte länger wachsen lassen – als habe sich der Drang verflüchtigt, kurz geschoren wie ein Verbrecher die eigene Individualität zu beweisen –, war ebenfalls mit ersten grauen Haaren durchzogen. Jetzt im Gegenlicht sah sie all dies nicht, sie sah nur, wie sein Lächeln die Schatten verschob, und dieses Lächeln ließ ihn auch bei der unvorteilhaftesten Beleuchtung noch immer wie den zwanzigjährigen Draufgänger erscheinen, von dem Agnes immer gewusst hatte, dass er ihr Seelengefährte war. Sie lächelte verwirrt zurück.
»Es gibt einen neuen Bäcker in Prag.« Cyprian nickte zu dem Brotkorb. »Ein Protestant. Er kommt aus der Kurpfalz.« Sie sah jetzt, dass er einen Wecken in der Hand wog. Er hatte noch nicht davon abgebissen. In dem Maß, in dem sie sich an das Gegenlicht gewöhnte, erkannte sie immer mehr Einzelheiten. Cyprian trug hohe Stiefel und darüber schmucklose Kniehosen, ein Lederdoublet mit flachem Kragen und festen, langen Ärmeln. Ein Hut lag neben ihm. In vielem hatte er sich verändert über die Jahre, war weniger kompromisslos geworden. Seine Vorliebe für dunkle Farben war jedoch geblieben. »Der Mann versteht sein Handwerk. Da werden manche ihre Kunden verlieren, wenn er sich hier erst mal etabliert hat.«
»Hat er seine Bäckerei außerhalb der Stadt?«, fragte Agnes. »Du bist angezogen wie für einen langen Tag.«
»Ich habe ihn gefragt, warum er ausgerechnet nach Prag gekommen ist, ans andere Ende des Reichs. Die Kurpfalz ist ja auch protestantisch. Er sagte, mit dem Majestätsbrief, mit dem Kaiser Rudolf seinerzeit den protestantischen Ständen hier in Böhmen unter anderem Konfessionsfreiheit zugesichert habe und den sowohl Kaiser Matthias als auch Ferdinand, der neue König von Böhmen, anerkannt hätten, werde Böhmen über kurz oder lang rein protestantisch sein – und zwar die größte protestantische Macht im ganzen Reich. Ichdenke zwar nicht, dass die böhmischen Stände wirklich glauben, dass König Ferdinand sich an sein Versprechen hält, aber der Majestätsbrief hat ihnen ja auch die freie Wahl des Königs gestattet. Mit der Bestätigung Ferdinands haben sie Kaiser Matthias einen Gefallen getan und werden dafür in Ruhe gelassen, so dass sie ihre Kräfte und ihre Strategie aufeinander abstimmen können.
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