Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Fingernägel und einen dünnen silbernen Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand. Schließlich zuckte er mit den Schultern.
»Das ist hier keine gewöhnliche Hinrichtung«, sagte er schließlich.
Das Greinen war lauter geworden, und von der Menge weiter vorn stieg ein Raunen auf wie das erste Blätterrascheln vor einem Sturm.
»Der Stadtrichter ist sich wahrscheinlich nicht sicher, ob die guten Brünner Bürger nicht auf den Meister Fix losgehen und den Verurteilten retten werden. Wie ich gehört habe, hat sich der Brünner Henker ohnehin geweigert, die Hinrichtung vorzunehmen. Sie haben den Scharfrichter aus Olmütz kommen lassen.«
»Sie reden, als ob Sie nicht aus Brünn wären.«
Er lächelte wieder. »Bin ich auch nicht. Ich bin hier aufgehalten worden, so wie Sie, gerade vor ein paar Augenblicken.«
Der Knecht schaute auf. Es schien Alexandra, dass der wettergegerbte Bursche einen anderen Eindruck gehabt hatte, aber sie achtete nicht weiter darauf.
Das Geheul war jetzt ziemlich nahe. Mit einer Betroffenheit, die sich ihr kalt ins Herz senkte, erkannte Alexandra, dass es die Stimme eines Mannes war, der lauthals weinte. Sie griff an ihren Hals, aber die Halskrause, die sie hatte lockern wollen, lag ja bereits neben ihr auf der Sitzbank. Die Blicke des Mannes ließen sie nicht los.
»Ja«, sagte er ruhig. »Der arme Kerl hat ganz und gar keine Lust zu sterben.«
»Wie können Sie nur so herzlos reden.«
Er verzog den Mund. »Tut mir leid, wenn es so klang«, sagte er. »Das Geschrei geht mir an die Nieren, glaube ich.«
»Wollen Sie hereinkommen?« Der Knecht warf ihr einen scharfen Blick zu. Sie wusste selbst nicht, warum sie es gesagt hatte. Röte schoss ihr in die Wangen. »Ach nein, meine Brüder schlafen ja hier drinnen. Verzeihen Sie …« Ich bin so ein Trampel, dachte sie und wurde noch röter.
Er verneigte sich. »Keine Ursache. Nein, ich bleibe ohnehin lieber hier draußen. Stört es Sie, wenn ich Ihnen ein bisschen Gesellschaft leiste? Ich habe das Gefühl, auch Sie lässt der Lärm nicht kalt.«
»Nein«, flüsterte sie. Wieder hörte sie das Brummeln des betrunkenen Henkers und das panische Rufen der Verurteilten in der Grube in Wien. Sie war so jung gewesen und ihr Sterben so … unmenschlich. Sie hatte nach ihrer Mutter gerufen. War diese Zeugin geworden, wie man ihr Kind stümperhaft und grässlich zu Tode gebracht hatte? Alexandra schüttelte sich und drängte ihren aufsteigenden Mageninhalt zurück. »Nein.«
»Was haben Sie?«
Pater Meinhard stand plötzlich keuchend vor dem Wagenschlag. Seine Augen waren groß und seine Wangen erhitzt. Er stutzte, als er Alexandras Gesprächspartner sah, doch dann sprudelte er los: »Es ist ein Ziegenhirte, ein halbes Tier. Er hat heuer im Frühjahr ein junges Mädchen ermordet. Er muss sie fürchterlich zugerichtet haben. Sie rädern ihn.«
Alexandra schüttelte sich. Ein hohles Gefühl machte sich mehr und mehr in ihrem Leib breit.
»Man hat ihn direkt neben der Leiche gefunden. An seiner Schuld gibt es keinen Zweifel. Der neue Landeshauptmann, Albrecht von Sedlnitzky, hat die Hinrichtung verfügt.« Pater Meinhard sah sich über die Schulter um. »Gott sei seiner armen Seele gnädig. Da kommen sie …« Er wandte sich grußlos ab und rannte wieder davon.
»Da kann’s einer gar nicht erwarten, dabei zu sein«, sagte Alexandras Gesprächspartner.
»Und Sie? Wollen Sie nicht hingehen und zuschauen?«
Er schüttelte den Kopf, erneut leise lächelnd. »Was haben Sie gesehen?«, fragte er.
Sie starrte ihn an wie ein Hase die Schlange. »Was?«, brachte sie hervor.
»Was haben Sie gesehen? Sie sind totenbleich geworden, als ich sagte, dass das Geschrei Sie vermutlich ebenso berührt wie mich.«
»Ich war in Wien … ich war Zeugin einer Hinrichtung … ich wollte gar nicht hingehen, aber dann …«
»Hat die Neugier Sie überwältigt? Soll vorkommen.« Sein Lächeln war nachsichtig.
Das Heulen war jetzt ganz nah. Die Menge raunte. Alexandra hörte, wie das Gebrüll eine Nuance stieg und in eine Art kreischendes NeinneinneinneinNEIIIIN! überging. Sie hörte Flüche und das Gerangel von Henkersknechten, die versuchten, einen Verurteilten vorwärtszuzerren, der sich mit Händen und Füßen wehrte. Das Raunen in der Menge wurde lauter.
»Warum glaubt der Richter, dass die Brünner den Scharfrichter angreifen könnten?« Sie wollte es gar nicht wissen, aber seiner Stimme zu lauschen war ihr lieber, als das Gekreisch zu hören. In
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