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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Hinrichtung beginnen … würde die Eisenkante des Rades herunterfallen auf ein über zwei Blöcke gespanntes Glied … würde der Henker den Gnadenstoß zuerst gegen den Hals des Verurteilten führen? Aber nein, es galt, Härte zu demonstrieren, dies war eine politische Hinrichtung, so wie auch in Wien eine politische Hinrichtung stattgefunden hatte und der Kindsmörderin die vorherige Erdrosselung verwehrt worden war …
    »Sie war jünger als ich«, sagte Alexandra, ohne zu merken, dass sie es laut gesagt hatte. Eine Augenbraue ihres Gesprächspartners zuckte.
    Die Menge vorn seufzte. Dann entstand die lähmende Stille des Augenblicks, in dem der Henker sein Tötungsinstrument ansetzte, das Schwert, das Rad, der Strick, der festgezogen wurde, gefolgt von einem wuchtigen Geräusch und einem unmenschlichen Kreischen, das in das Schweigen schnitt. Üblicherweise folgte dem ersten Stoß wilder Beifall des Publikums; hier blieb es so still wie auf einem Friedhof.
    Der Scharfrichter in Wien war so betrunken, dass er beinahe gefallen wäre, als er das Richtinstrument hob. Kindsmörderinnen wurden lebendig begraben; das Richtinstrument war eine gewöhnliche Schaufel. Sie fuhr mit einem Knirschen in den kiesigen Erdhaufen neben der Grube. Die erste Schaufel ging daneben, die zweite traf das Gesicht der Verurteilten, die zu husten und zu spucken begann und sich in Todesangst wand. Und in der Gegenwart, vor den Toren Brünns, zerschlug das Rad den zweiten Unterschenkel des Idioten, der schrie wieein kleines Kind. Die blauen Augen ihres Gegenübers schienen Alexandra zugleich zu halten und aufzusaugen.
    Beim dritten Schaufelhub verlor der Wiener Scharfrichter das Gleichgewicht, das Schaufelblatt glitt ab und fuhr in die flache Grube hinein, und der Scharfrichter fiel hinterher. Die Schaufel musste die Verurteilte verletzt haben, denn sie schrie vor Schmerz. Die Henkersknechte halfen dem Scharfrichter heraus, der versuchte, sie mit wütenden Fausthieben zu vertreiben, aber nur Luftlöcher schlug. Er begann weiterzuschaufeln, schwankend, schwitzend, torkelnd, ein verbissener Todesengel voller billigem Wein, nicht mehr in der Lage, den Erdhaufen von den Füßen her über den Körper der Delinquentin zu schichten und sie mit einer letzten, massiven Schaufel voll Erde halb besinnungslos zu stoßen und dafür zu sorgen, dass sie schnell erstickte. Die Erde flog überallhin, die Verurteilte krächzte und würgte und versuchte, Luft zu bekommen, und bäumte sich auf, dass es von Alexandras Position so aussah, als zappele eine Wahnsinnige in ihrem eigenen Grab – nur dass sie den Wahnsinn selbst spürte. Es war der Wahnsinn der Todesangst, es war das Zucken einer an Dreck und Kies Stück für Stück Erstickenden …
    Wump! Konnte der Idiot vorne noch mehr Schmerzen verspüren?
    Wump! Die Schaufel glitt erneut ab, traf den Körper der Verurteilten, und sie schrie.
    Wump! Alexandra schlug mit der Faust auf den oberen Rand des Wagenverschlags, ohne dass sie es spürte, und wurde kaum gewahr, dass sich eine schlanke Hand um ihre Faust legte und sie still hielt.
    Plötzlich war das Gebrüll vorne vorbei. Alexandras Ohren klangen. Die Szene auf dem Wienerberg fror vor ihren Augen ein: die erhobene Schaufel, der Dreck, der durch die Luft flog, der aufgebäumte Körper in der Grube. Sie blinzelte und spürte, dass ihr Magen sich hob. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
    »Es ist vorbei«, flüsterte der Mann. Die blauen Augen blinzelten nicht.
    »Ja«, flüsterte sie zurück, aber einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, im freien Fall zu sein, und sie dachte: Das ist der Anfang. Der Gedanke zerstob, kaum dass sie ihn gedacht hatte.
    Die Brünner hatten den Scharfrichter nicht angegriffen. Der Henker hatte den letzten Streich auf den Hals des Verurteilten geführt und ihm das Genick gebrochen. Sein zerschlagener Körper würde auf das Rad geflochten werden, aber er würde es nicht mehr spüren. Ein weiteres Leben war qualvoll zu Ende gegangen, und ganz egal, was der Schwachsinnige getan oder nicht getan hatte, zuallererst war es ihm genommen worden, weil die beiden christlichen Konfessionen vergessen hatten, wozu Jesus Christus in den Tod gegangen war.
    »In ein paar Minuten können wir weiterfahren«, ertönte die Stimme des Kutschers.
    Sie blickte auf ihre Faust und stellte fest, dass sie noch immer von der Hand des Mannes neben der Kutsche umschlossen wurde. Er löste seinen Griff und bog ihre verkrampften Finger zärtlich auf;

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