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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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tatsächlich war. Heute wusste er um seine Verletzlichkeit: Sein Herz gehörte vielen Menschen, und er würde den Verlust keines von ihnen verschmerzen können. Er dachte an seine Kinder, an seine Freunde, an Agnes, seine Frau …
    »Die Teufelsbibel ist noch dort«, sagte Kardinal Melchior, der die Gabe besaß, aus dem Ballen von Fäusten ganze Geschichten herauszulesen. »Keine Sorge.«
    Cyprian erwiderte nichts. Er beherrschte die Kunst, ohne Worte zu sprechen, ebenso gut wie sein Onkel. Sosehr er den Gedanken daran hasste, er dachte ihn doch zu Ende: Er würde den Kampf ein zweites Mal aufnehmen, nicht weil er überzeugt war, gegen das Böse siegen zu können, sondern weil die Hoffnung nicht verlosch, solange nur ein Mensch dagegen anzukämpfen bereit war.
    6
    Alexandra fragte sich, ob sie sich wirklich über ihre Rückkehr freuen sollte. Sie spürte die unausgesprochenen Erwartungen wie ein Mühlrad um den Hals, je mehr sie sich Prag näherten. Sie zerrte an ihrem engen Kragen und riss an der Halskrause, bis die Bänder sich lösten und das Ding herunterrutschte. Nicht dass ihr danach wohler gewesen wäre. Sie wusste mittlerweile nicht mehr auseinanderzuhalten, welche der Erwartungen sie selbst an sich stellte und welche von außen kamen. Sie fühlte sich bewegungsunfähig,gelähmt inmitten des Zerrens, das sie von allen Seiten spürte und das es ihr unmöglich machte, für sich selbst zu entscheiden und zu erkennen, was sie eigentlich wollte.
    Sie betrachtete ihre beiden jüngeren Brüder, die eingeschlafen waren. Ihre Züge wurden weich – die Burschen waren Nervensägen, solange sie wach waren, aber wenn sie so wie jetzt mit ineinander verknäulten Gliedmaßen wie junge Hunde dalagen und schliefen, empfand sie ihre Liebe für sie doppelt heftig. Sie beugte sich nach vorn und nahm sanft Andreas’ Hand weg, die auf Klein-Melchiors Gesicht gefallen war und diesen halb erstickte. Der zwölfjährige Andreas murmelte im Schlaf, sein drei Jahre jüngerer Bruder gab einen überraschend erwachsenen Schnarchlaut von sich. Bevor sie eingeschlafen waren, hatten sie das ihnen innewohnende Potenzial an Ekelhaftigkeit bis zum Anschlag ausgereizt, indem sie abwechselnd etwas vorgespielt hatten, dessen Zeugen sie beim Besuch einer Gauklerattraktion geworden waren. Ein Künstler hatte sich auf eine Wette aus den Reihen der Zuschauer eingelassen und innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Pfund Käse, dreißig Eier und einen großen Laib Brot verzehrt, was ihm jedoch zum Verhängnis geworden war – und Klein-Melchior und Andreas dazu verleitet hatte, sein von allerlei unschönen Begleiterscheinungen gerahmtes Ableben auf öffentlicher Bühne begeistert nachzustellen.
    Als sie sich zurücklehnte, sah sie aus dem Augenwinkel das gütige Lächeln von Pater Meinhard, der sie seit ihrer Abreise aus Wien begleitete. Wie immer hatte ihr Vater seine Beziehungen spielen lassen. Auf der Hinreise hatte ein Kaplan aus Prag die kleine Reisegruppe aus Alexandra, den Buben und den drei bewaffneten Knechten begleitet; für die Rückreise hatte wunderbarerweise der Pater aus Wien zur Verfügung gestanden. Alexandra fragte sich, wie der Austausch der Geistlichen zwischen den beiden Hauptstädten des Reichs funktioniert hätte, wenn die Familie Khlesl ihre Kinder nichtab und zu nach Wien zur Familie Wiegant geschickt hätte. Wahrscheinlich reiste sie unwissentlich mit Begleitpapieren, die der Kaiser und der Papst persönlich unterzeichnet hatten.
    Sie gab das Lächeln des jungen Kaplans kühl zurück; ihre Verachtung für die Vertreter der beiden christlichen Konfessionen war auf dieser Reise noch weiter gestiegen. Wer halbwegs denken konnte und in einem Haushalt aufgewachsen war, in dem auch vor den Kindern offen gesprochen wurde, konnte nicht anders, als sich angewidert von den politischen Machenschaften abzuwenden, in die Katholiken wie Protestanten gleichermaßen verstrickt waren. Natürlich wusste sie, dass diese Verfehlungen sich nicht beliebig auf die einzelnen Vertreter der beiden Kirchen übertragen ließen und dass es in jedem Lager anständige Männer und Frauen gab, aber ihr war noch keiner über den Weg gelaufen. Vielleicht gehörte ja Pater Meinhard dazu, aber mehr als pompös zu schwätzen und väterlich zu tun, wo er höchstens fünf Jahre älter war als sie, hatte er bisher nicht vollbracht. Sie hatte eine Weile gedacht, dass Kardinal Melchior zu den Aufrechten gehörte, aber der Klatsch, der in Prag umging, hatte ihre

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