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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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mit einer Fingerspitze strich er langsam und wie zufällig über ihre Handfläche und an einem Finger nach oben. Es schien, als folge eine Spur aus Feuer und Eis der Berührung, wie ein Kometenschweif. Alexandra klammerte die Hand um die Leiste des Wagenverschlags. Sie spürte ihren ganzen Arm zittern.
    »Ich muss los«, sagte er. »Es war mir eine Ehre, Fräulein …?«
    »Khlesl«, sagte sie tonlos. »Alexandra Khlesl.«
    »Wir sehen uns bestimmt bald wieder«, sagte er. »Fragen Sie nach mir, wenn Sie nach Prag kommen. Ich bin Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz, aber meine Freunde nennen mich Henyk.«
    7
    Wenn früher jemand Filippo Caffarelli gesagt hätte, dass es Orte in Rom gab – im heißen, oft schon im März drückend schwülen Rom! –, an denen es so kalt war, dass man die Zehen in den Schuhen krümmte, um deren Erstarrung zu lösen, dann hätte er es selbstverständlich nicht geglaubt. Aber da hatte er die Kirche Santa Maria in Palmis noch nicht gekannt, an der Kreuzung der Via Appia und der Via Ardeatina. So klein und alt die Kirche war, so viel Kraft schien sie dennoch zu besitzen, die Sonne abzuwehren und die Kälte in ihren Mauern festzuhalten. Vielleicht wehte ja ein beständiger Grabeshauch von den ausgedehnten Katakombensystemen in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche in deren Inneres. Filippo erschauerte und zog die Schultern hoch; dieser Grabeshauch wehte sogar ins Innere des Beichtstuhls, der auf ihn wartete.
    Er trat einen Schritt von der Schwelle der Kirche zurück und hinaus in die Sonne, als könne er die Wärme mit hineinnehmen. Er hatte keine Lust darauf, seine Kirche zu betreten, sich in den aufrecht stehenden Sarg zu setzen, als der ihm der Beichtstuhl vorkam, und hilflos mitzuerleben, wie die unsäglichsten Sünden diesen Sarg füllten, bis er meinte, an der schieren Bosheit der Menschen ersticken zu müssen.
    Nach mehreren Jahren im Herzen des Vatikans und in unmittelbarer Nähe des Papstes hatte Pater Filippo, der ewig Zweifelnde, nur die eine Gewissheit erlangt: dass das Heil nicht bei den prächtigen Roben, gnädig zum Kuss dargereichten Bischofsringen und goldschimmernden Kirchenschätzen zu finden war. Da die Teufelsbibel, die der Prüfstein für seinen Glauben hätte sein sollen, verschollen war, hatte er versucht, einen anderen Zugang zu seinen Zweifeln zu finden. Er hatte sich dem Wahn hingegeben, dass der Glaube unter den einfachen Menschen stärker sein müsste als unter den im langenKirchendienst zynisch gewordenen Prälaten und dem nur an das Wohl seiner Familie und seiner Bauprojekte denkenden Papst. Wenn er Vittoria um Rat hätte fragen können, hätte sie ihn vielleicht von diesem Wahn geheilt.
    Er schauderte erneut. Noch ein Grabeshauch, aber diesmal einer, der aus seiner Seele kam. Vittoria war vor einem knappen Jahr an einem Fieber erkrankt und gestorben, und er hatte nichts tun können, außer wie ein Wahnsinniger seinen Schmerz in ihr totes Gesicht zu schreien, bis Kardinal Scipione ihn hatte hinausbringen lassen – Scipione, der nun jemand anderen würde finden müssen, der die Vorräte eines Apothekers von einem Pfund Rattengift und die Welt von seiner Präsenz erlöste.
    Er hatte nicht einmal Abschied nehmen können; als er Scipiones Palast erreicht hatte, war sie bereits tot gewesen. Nachdem der erste Schmerz vergangen war, hatte er sich gefühlt wie ein Mann in einem ankerlosen Boot, das langsam den Fluss des Lebens hinabtrieb, die rettenden Ufer unerreichbar und seine Arme so kraftlos, dass er das Steuer nicht halten konnte.
    Als Filippo sich wieder gefangen hatte, hatte er um seine Versetzung in den Gemeindedienst gebeten. Papst Paul, verletzt von der offensichtlichen Illoyalität eines Mitarbeiters, dem er beinahe schon Verwandtenstatus zugebilligt hatte, hatte dafür gesorgt, dass Pater Filippo wirklich zu den einfachen Menschen kam – in das schon seit der Antike von den Verlierern der Gesellschaft bevölkerte Trastevere westlich des Tiberbogens.
    Filippo hatte sich gefragt, ob jemand überhaupt die bittere Ironie darin bemerkte, dass das Viertel Roms, in dem die ältesten christlichen Kirchen standen, in dem Petrus auf der Flucht vor Neros Soldaten auf Jesus Christus getroffen und beschämt wieder umgekehrt war, für einen Diener der Kirche eine Strafversetzung bedeutete. Als er zum ersten Mal in seiner Kirche gestanden hatte, da hatte sich die näherliegendeFrage in den Vordergrund gedrängt, wie er sich selbst diesen Abstieg nur hatte

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