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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Wahrnehmung seiner Person geschärft (verzerrt, hätte ihr Vater gesagt), und der freundlich-spöttische Mann, der in ihrem Elternhaus aus und ein ging, war in ihren Augen mittlerweile nur eine Tarnung für einen opportunistischen Machtpolitiker, der das Reich zwischen den beiden Religionen hin- und herlavierte und den Kaiser so im Griff hatte, dass dieser kaum noch eine Entscheidung zu fällen wagte.
    Pater Meinhards Lächeln erlosch. Alexandra war es recht.
    Erwartungen … Alle erwarteten etwas von einem. Ihre Mutter erwartete, dass sie immer noch so vertraut mit ihr umging wie das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war, und íhre Gedanken und Wünsche mit ihr teilte. Aber Alexandra fühlte sich als junge Frau, und wenn sie ihre Mutter auch liebte, so hieß das noch lange nicht, dass sie ständig ihr Lebenvor deren Augen ausbreiten wollte. Ihr Vater erwartete, dass sie sich irgendwann einmal entschied, welches Lebensziel sie hatte, um ihr dann den Start zu erleichtern. Doch wo stand, dass man mit zwanzig Jahren schon wissen musste, wie das restliche Leben verlaufen sollte, und dass man unbedingt die Hilfe seines Vaters brauchte, um die ersten Schritte zu gehen?
    Ihre Freunde in Prag erwarteten, dass sie ihnen haarklein schilderte, welche Mode man in Wien trug und welche neuen Sprüche dort im Munde geführt wurden, die Prag auf dem normalen Weg erst in einem halben Jahr erreichen würden. Bei ihrem letzten Besuch war der Ausruf »Heilige Melancholie im Lehnstuhl!« gerade modern gewesen: Man rief ihn mit dem dazugehörigen Pathos aus, wenn sich ein Gesprächspartner nicht entscheiden konnte oder sich den eigenen Wünschen nicht sofort beugte. Sie hatte ihn ebenfalls gebraucht, bis Kardinal Melchior ihn in den Mund genommen und sie dabei erfahren hatte, dass er ursprünglich von ihm stammte und auf den Kaiser gemünzt war. Danach hatte sie ihn aus ihrem Sprachschatz verbannt, weil die Erkenntnis sie peinlich berührte, dass etwas, was so dediziert zu den Kreisen der jungen Menschen ihrer Gesellschaft zu gehören schien, in Wirklichkeit von einem Mitglied der unbeliebten Herrschaftsschicht kam.
    Sie würde sie diesmal alle enttäuschen. Ihre Mutter, weil sie sich vorgenommen hatte, nicht über das zu reden, was in Wien das Hauptthema während ihres zweiwöchigen Aufenthalts gewesen war. Ihren Vater, weil sie noch immer nur eines wusste: dass sie keine der Möglichkeiten, die sich ihr zu bieten schienen, annehmen wollte. Ihre Freunde, weil die Erinnerung an den betrunkenen Scharfrichter in Wien und das Flehen der Verurteilten alles andere überdeckte.
    Sie starrte zum Wagenverschlag hinaus. Die Räder rollten jetzt ruhiger: Die Straße war besser. Sie näherten sich einer Stadt.
    »Brünn«, sagte Pater Meinhard. Sie reagierte nicht darauf.
    Noch jemand erwartete etwas von ihr. Wenzel von Langenfels war ihr Vetter. Und er liebte sie abgöttisch, das konnte die ganze Welt sehen. Was sollte sie mit dieser Liebe anfangen? Sie wusste nicht, ob sie sie erwiderte, und selbst wenn, war sie hoffnungslos. Sie waren gemeinsam aufgewachsen. Sie erinnerte sich, dass er irgendwie immer da gewesen war und all ihre Launen geduldig ertragen hatte. Sie hasste die Büßertypen, die sich dem Willen eines Mädchens unterwarfen, nur weil sie zu schüchtern oder zu täppisch oder zu durchglüht von irgendwelchen verschrobenen Ansichten über Ritterlichkeit waren, um sich gegen sie zu behaupten. Tief im Innern war ihr klar, dass dies alles auf Wenzel nicht genau zutraf. Ein Teil von ihm blieb immer auf Distanz, schaute von ferne mit mildem Spott auf das zickige Treiben herab, das sie mit ihm veranstaltete, und signalisierte gerade eben noch wahrnehmbar, dass er auch anders konnte. Ihre Sticheleien erreichten ihn nie zur Gänze, und daher konnte sie ihn auch nie zur Gänze aus ihrem Herzen verbannen. Sie bezweifelte, dass er selbst darüber Bescheid wusste. Aber was auch immer nun seine Erwartung war, sie würde auf jeden Fall enttäuscht werden. Er und sie? Undenkbar!
    Der Wagen hielt an. Pater Meinhard und sie wechselten einen überraschten Blick. Der Pater stieg aus. Sie hörte ihn halblaut mit dem Wagenlenker sprechen. Ein Pferdeleib schob sich vor die geöffnete Tür. Sie spähte hinaus und in das Gesicht eines der graubärtigen Männer, die ihr Vater als Geleitschutz angeheuert hatte. Der Mann zwinkerte ihr zu, aber sie sah, dass er an seinem Pulverbandelier zupfte und die Muskete im Sattelhalfter lockerte.
    »Was geht hier

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