Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
erschöpft und fast menschlich erschien.Nicht einmal nach dem verzehrenden Liebesspiel damals in ihrer Kammer im Palais Lobkowicz hatte sie so müde gewirkt; so wie jetzt sah er sie nur, wenn sie sich einmal mehr tagelang um den Codex bemüht hatte und an ihm gescheitert war.
»Kaiser Matthias hat ebenfalls erkannt, dass weder der katholische noch der protestantische Glaube der richtige Weg ist. Aber seine Lösung besteht darin, nichts zu tun und sein eigenes Leben zu genießen, solange er noch kann. Und das wird nicht mehr lange sein. Er ist krank. Wie lange hat er noch? Zwei Jahre? Drei? Und wer folgt ihm dann nach?«
»Erzherzog Ferdinand«, sagte Heinrich gegen seinen Willen. Erneut kam er sich wie ein kleiner Junge vor, der den Katechismus der Großen nachbeten muss.
»Der dumme, engstirnige, erzkatholische Ferdinand von Österreich, der nicht einmal auf den Abtritt geht, ohne vorher seinen Onkel Maximilian zu fragen«, sagte sie. Ihr Blick verschwamm, als gehe er durch die Wände der Burg hindurch. »Er wird nur zu weiterem Stillstand beitragen, und der Zwist zwischen der katholischen und der protestantischen Kirche wird das Land immer noch auffressen wie ein Geschwür. Die Wissenschaft ist nicht der richtige Weg, auch wenn Rudolf erkannt hat, dass ein dritter Weg nötig ist zwischen dem Papst und den Protestanten. Die Menschen müssen an etwas glauben. An die Wissenschaft kann man nicht glauben. Gott aber hat sich abgewandt, und Christi Lehre ist zu einem perversen Glaubensbekenntnis machthungriger alter Männer geworden. Ich werde den Menschen den Glauben zurückgeben, den Glauben an die einzige Macht, die sich von Anfang an für die Menschheit interessiert und versucht hat, sie auf ihre Seite zu bringen.«
Sie legte ihre Hand erneut auf die aufgeschlagenen Seiten des Buchs, aber diesmal blieb die Wirkung aus.
»Er hat versucht, uns das Wissen zu geben, immer und immer wieder. Er ist am Aberglauben und an der Dummheit derMenschen gescheitert. Ich werde dafür sorgen, dass er diesmal triumphiert.«
Unvermittelt zeigte sich ein Lächeln auf ihren Zügen. Es spiegelte sich nicht in ihren erschöpften Augen wider. Heinrich empfand es als unheimlich. »Kennen Sie die Legende vom Jahrtausendkaiser, Freund Henyk?«, wisperte sie.
Heinrich zuckte mit den Schultern.
»Und ich sah den Himmel offen stehen, und siehe, ein weißes Pferd«, flüsterte sie, »und der auf ihm sitzt, richtet und kämpft in Gerechtigkeit. Seine Augen sind wie eine Feuerflamme, und auf seinem Haupt sind viele Diademe. Er trägt einen Namen, den niemand kennt als er selbst. Er ist umkleidet mit einem Gewand, das mit Blut getränkt ist, und sein Name heißt: das Wort.«
Sie lächelte erneut. Heinrichs Nackenhaare stellten sich auf, als er sah, wie Härte und Müdigkeit für einen Moment ihre Augen verließen und sie fast weich wurden. Er schluckte, als er einen winzigen Blick auf die Frau zu erhaschen meinte, die tief drin hinter der weiß geschminkten Hülle und der unnahbaren Seele lebte, die ihm und der Welt präsentiert wurde: eine Frau, die verzweifelt versuchte zu glauben – an sich und ihre Bestimmung. Es war ein Wesen, das ihm so fremd war, dass er sich davor fürchtete. Einen Herzschlag lang war der Gedanke zu flüchten ebenso übermächtig in ihm wie seinerzeit im Wartezimmer im Palais Lobkowicz, und er machte bereits einen Schritt rückwärts, da ging eine subtile Veränderung in ihrem Gesicht vor, und sie war wieder diejenige, die er kannte und deren wahren Namen er so selten nannte, dass er nicht einmal in seinen Gedanken an erster Stelle stand. Für ihn war sie Diana, die schönste Frau der Welt, seine Partnerin, seine Liebhaberin für einen ekstatischen, schrecklichen, alles offenbarenden Nachmittag – seine Göttin, die er manchmal hasste und die er über alles begehrte.
»Meine Mutter war streng katholisch«, sagte sie. »Wo andere Kinder die Geschichten von Prinzessin Libusze undPrinz Przemysl hörten, las sie aus der Bibel vor. In der Offenbarung heißt es, dass beim letzten Kampf ein König der Könige sich erhebt und die große Schlacht gewinnt; danach übergibt er den Thron dem, der Gericht halten darf, und dieser wird herrschen für tausend Jahre.«
»Der Jahrtausendkaiser, der den Weg freigibt für die Wiederkunft Christi«, sagte Heinrich.
»Ich werde der Jahrtausendkaiser sein«, sagte sie so ruhig, dass es eindringlicher wirkte, als wenn sie es deklamiert oder geschrien oder ihre Hände zum Beweis auf
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