Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
glühende Pflugscharen gelegt hätte. »Aber ich werde das Reich nicht Christus übergeben. Christus hat tausendsechshundert Jahre lang seine Chance gehabt und sie nicht genutzt. Ich gebe sie dem, der die wirkliche Macht innehat.« Sie nahm ein paar Seiten des Buches und schlug sie um. Die riesigen Blätter ließen Modergeruch wie einen Windhauch in Heinrichs Nase steigen. Sie machte eine Kopfbewegung, und er trat unwillig näher. Auf einer mächtigen Doppelseite erhob sich links das Bild einer Stadt, umgeben von Mauerringen und bekränzt von Türmen. Rechts war das Abbild …
Heinrich bekreuzigte sich. Sie lachte und liebkoste die krallenfüßige, behörnte Gestalt. Deren Gesicht lächelte – siegessicher.
»Sie wollen die Voraussetzungen für einen Krieg schaffen«, sagte Heinrich schließlich mit trockenem Mund.
»Ich habe sie schon lange geschaffen«, sagte sie und machte eine wegwerfende Geste. »Glauben Sie doch nicht, dass ich die ganzen Jahre lang nur über der Teufelsbibel gebrütet habe. Ich brauche sie, das ist wahr. Aber ich brauche sie erst dann, wenn das Reich in Flammen aufgegangen ist, um es aus der Asche emporzuheben. Bis dahin habe ich Zeit. Und damit das Reich in Flammen aufgeht, braucht es nichts als eine ausreichend große Menge engherziger Hohlköpfe, die alles hassen, was nicht so denkt wie sie. Ich habe dafür gesorgt,dass an allen wichtigen Stellen des Reichs solche Menschen sitzen. Der Reichskanzler hat die Macht dazu, und die Macht über den Reichskanzler hat die Frau, die im Bett in sein Ohr flüstert.«
Heinrichs Augen zuckten; er konnte es nicht verhindern. Ihr Mund verzog sich zu einem winzigen Lächeln.
»Die neuen königlichen Statthalter, Graf Martinitz und Wilhelm Slavata: einfältige, glühend katholische Dummköpfe ohne Weitblick, die ihrem Herrn, König Ferdinand, in nichts nachstehen. Auf der Gegenseite: Graf von Thurn, der Anführer der böhmischen Stände, der nicht einmal richtig böhmisch sprechen kann, ein Phantast, ein Schwätzer, in seine eigene Stimme verliebt und fanatisch protestantisch gesinnt. Das einzige Talent, das er hat, ist, mit seinen hochfliegenden Plänen auch die misstrauischsten Geister einwickeln zu können. Und das sind nur die prominentesten Vertreter. Haben Sie gedacht, eine solche Anhäufung von Inkompetenz auf beiden Seiten wäre reiner Zufall? Es wird einen Krieg geben. Für all die, über die er hinwegzieht, wird er sein wie der letzte Kampf aus der Offenbarung. Ich aber werde der Kaiser sein, der aus seinen Ruinen aufersteht.«
»Ein Herrscher über Millionen Tote.«
»Da es nicht Skrupel sind, die aus Ihnen sprechen können, mein Freund – was wollen Sie mir damit mitteilen?«
»Wenn Sie einen Glaubenskrieg unter der Christenheit entfachen – und nichts anderes höre ich aus Ihren Worten –, dann wird am Ende niemand mehr übrig sein, der irgendetwas glaubt. Der Teufel hat seine Macht von Gott, und Gott wird nach diesem Krieg ebenso tot sein wie alle, die an ihn glauben.«
»Deshalb habe ich vorgesorgt.«
»Die Kinder«, sagte Heinrich, der das Gefühl hatte, dass ihm plötzlich ein Licht aufging. Er hielt den Atem an. Er hatte sie einmal mehr vollkommen unterschätzt.
»Die Kinder«, nickte sie. »Die Kinder der Hofbeamten, die Kinder der reichen Händler, die Kinder der Adligen, die Kinder der Familien der Bischöfe und Kardinäle. Mit Alexandra Khlesl machen wir den Anfang. Wenn wir die Macht über sie erringen können, werden wir es auch bei allen anderen vermögen. Kardinal Khlesl ist der Einzige, der sich mir zum jetzigen Zeitpunkt in den Weg stellen und die Rückkehr der Teufelsbibel verhindern könnte. Er hat es schon einmal getan. Alexandra ist die Tochter seines Lieblingsneffen. Er wird nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht; er wird gar nicht ahnen, dass sie längst eine von uns ist, wenn er sich mir unterwirft.«
Das Unbehagen kroch erneut in Heinrich hoch, als sie Alexandra erwähnte. Er schüttelte es ab, aber es kam sofort wieder.
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte er. »Vier Jahre haben Sie hier verbracht mit allen möglichen Zauberritualen, ohne einen Schritt vorwärtszukommen. Woher stammt plötzlich das Wissen über Kardinal Khlesl und seine Familie? Als Sie mich losgeschickt haben, um mich auf die Spur der Tochter zu setzen, wussten Sie das alles bereits.«
Sie zögerte einen winzigen Augenblick, dann sagte sie: »Folgen Sie mir.«
Sie führte ihn durch das Labyrinth der Burg zu der schwankenden
Weitere Kostenlose Bücher