Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
schütteln und lächelte. »Unser Haus treibt mit so vielen Ländern Handel, dass mein Vater die Zeitrechnung nach der Kleinen Uhr bei uns eingeführt hat. Er sagt, damit wären wir mit unseren Handelspartnern überall im Reich und darüber hinaus vergleichbar und hätten außerdem den Vorteil, dass das Mittagsmahl immer zur zwölften Stunde aufgetragen würde und nicht abhängig von der Jahreszeit zur fünfzehnten oder zur neunzehnten Stunde, je nachdem, wann die Sonne am Vortag untergegangen ist.«
»Ich schätze, ich bin nicht klug genug für das Leben eines Kaufmanns«, sagte Henyk. Alexandra fragte sich, ob das Eingeständnis nicht eher eine Spitze gegen sie und ihre Familie war, aber dann schob sie das Gefühl beiseite. Henyk war ein vollendeter Edelmann und außerdem – dessen war sie sich mittlerweile absolut sicher, und es jagte ihr einen Schauer über den Leib – mit Haut und Haaren in sie verliebt. Er würde nicht über sie spotten.
Irgendwie musste sich der leise Anflug des Zweifels in ihrem Herzen ihm mitgeteilt haben, denn er zog ein Gesicht, wie es ihre Brüder immer taten, wenn sie etwas gefragt wurden, von der Antwort keine Ahnung hatten und vermeiden wollten, mehr als nötig gescholten zu werden. Unwillkürlichhob sie die Hand und legte sie an seine Wange, dann zog sie sie erschrocken zurück. Sie merkte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Er fasste nach ihrer Hand und drückte sie, doch dann ließ auch er sie schnell wieder los. Beide sahen sich um.
Jetzt zur Mittagszeit war das Osttor der Burganlage fast menschenleer, und die Wachen, die Leben in ihre Füße zu stampfen versuchten und denen die Dauer bis zu ihrer Ablösung nach jeder möglichen Zeitrechnung zu lang war, schenkten ihnen nur marginale Aufmerksamkeit. Das Tor stand während der Tagesstunden offen, solange keine Gefahr drohte, und niemand wurde aufgehalten, der hindurchwollte. Dieser Zustand würde sich bald ändern. Doch im Augenblick war weder dem König noch dem Reichskanzler, noch dem Burggrafen vollends klar, dass das große Feuer, das ihre Epoche endgültig beenden sollte, bereits ausgebrochen war.
»Sie wollten in die Wunderkammer von Kaiser Rudolf?«, fragte Henyk nach einer köstlichen Pause, in der ihre Blicke sich erlaubt hatten, was sie ihren Körpern verwehrten – ineinander zu versinken.
Alexandra nickte.
Henyk lächelte. »Ich musste einen Drachen erschlagen und fünf Riesen foltern, bis ich an den Schlüssel kam – aber ich habe ihn.«
Alexandra wusste nicht, ob sie seine gelegentlichen Bemerkungen zu Themen wie der Folter lustig finden sollte. Sie fielen stets leichtherzig und im Zusammenhang mit einer humorvollen oder fast zärtlichen Aussage, und sie schrieb sie der Tatsache zu, dass Männer einen robusteren Humor als Frauen besaßen. Andererseits hatte sie weder ihren Vater noch Onkel Andrej jemals Scherze damit machen hören, doch dies mochte wiederum daran liegen, dass Edelleute wie Henyk, die zur Not im Dienst des Reichs zu kämpfen hatten, etwas raubeiniger dachten als Männer wie Cyprian Khlesl oder Andrej von Langenfels, deren größte Heldentat darin bestand, einProzent mehr Gewinn aus einem Handel herauszuschinden. Dennoch fiel es ihr schwer, dazu zu lachen. Das Bild der unglücklichen Hinrichtung in Wien oder das Schmerzgebrüll des Geräderten bei Brünn stiegen dann jedes Mal in ihrer Erinnerung hoch und ließen sie frösteln.
»Weshalb die Eile?«, fragte Henyk, während sie ihm die steile Gasse in Richtung zum Dom hinauffolgte. Er hatte ihr den Arm angeboten, und sie hatte ihn genommen. Die Geste schien unverfänglich genug, und niemandem wäre aufgefallen, dass sie seinen Arm stärker als nötig festhielt und dass er den Ellbogen nicht so weit wie eigentlich schicklich abgespreizt hatte, so dass ihre Schultern und ihre Hüften beim Gehen einander immer wieder streifen konnten. Alexandra musste daran denken, was sie sich heute vorgenommen hatte, und die Angst rieselte gleichzeitig mit der Lust durch ihren Leib und machte sie kurzatmig. Der Weg schien steiler als sonst und viel länger.
»Meine Eltern sind hinter meinen kleinen Trick mit meiner Magd gekommen.«
»Oh.«
»Ja. Eigentlich hätte ich das Haus heute gar nicht verlassen dürfen, aber meine Mutter ist bei Kardinal Melchior eingeladen und wird nicht vor drei Stunden zurück sein, und so habe ich mich rausgeschlichen.« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Mein Vater hat gesagt, er möchte Sie kennenlernen, bevor er weitere
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