Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
seinen Neffen.
»Wen suchst du?«
»Alexandra.«
Melchior nickte. »Sie wird flügge, mein Junge. Denk an dich und Agnes, ihr wart ein paar Jahre früher dran als sie …«
»Geh rein, und erklär es Agnes«, sagte Cyprian und grinste schwach. »Vielleicht glaubt sie der Weisheit von Mutter Kirche und Vater Kardinal.«
Der alte Kardinal holte Atem. »Ist es ernst?«
»Ich weiß gar nichts. Das ist das Ernste daran, oder?«
»Cyprian, du und Andrej, ihr müsst schnellstens nach Braunau.«
Cyprian holte seinen Blick aus der Richtung zurück, in diedas Paar gegangen war. Melchior fühlte sich durch sein Schweigen aufgefordert weiterzusprechen.
»Ich kann euch ein halbes Dutzend zuverlässige Männer mitgeben. Sie rüsten sich bereits für den Aufbruch. In zwei Stunden könnt ihr unterwegs sein.«
»In einer Stunde ist es dunkel, Onkel«, sagte Cyprian mit derselben Betonung, in der er gesagt hätte: Möchtest du noch einen Becher Wein? »Da werden die Tore geschlossen.«
Melchior sah sich um. Plötzlich fühlte er sich wie ein Narr. Ihm wurde bewusst, dass ein kalter Wind durch sein dünnes weißes Haar fuhr, es zerzauste und ihm Kopfschmerzen bereitete, dass er einen zu dünnen Mantel angelegt hatte, dass seine Stiefel nass waren und langsam einzufrieren begannen und dass er, als er die Nachricht vor einer guten Stunde erhalten hatte, wie ein Huhn durch seinen Palast und dann zu Andrej gerannt und schließlich zu Fuß hier heruntergehastet war, eine keuchende, humpelnde, viel zu alte Beute der Panik. Er schluckte und atmete erneut tief ein.
»Lass uns reingehen. Ich erkläre es dir«, sagte er.
Cyprian schüttelte den Kopf.
»Ich komme nach.«
»Andrej wird jeden Moment …«
»Andrej findet auch allein ins Haus. Setzt euch vors Feuer, und heitert meine Frau auf, ich bin so schnell wie möglich wieder bei euch.«
»Ich sehe ein, dass es heute nicht mehr geht, aber ihr müsst morgen aufbrechen, sobald die Tore geöffnet werden!«
»Na gut, darüber lässt sich reden. Nur nicht jetzt.«
Melchior fühlte Cyprians Händedruck. Sein Neffe wandte sich ab. Der Kardinal erwischte einen Zipfel seines Mantels.
»Cyprian, sie ist nicht mehr sicher«, flüsterte er.
Widerwillig drehte Cyprian sich um. »War sie das jemals?«
»Wolfgang und die Mönche sind nicht mehr in Braunau. Ich habe eine Brieftaube erhalten. Am Hof wissen sie nochnichts davon; sie glauben, der Abt wird belagert. Aber er hat das Kloster nicht mehr halten können. Er ist seit heute Morgen auf der Flucht. Vermutlich wird das Kloster gerade geplündert.«
»Der Codex?«
»Ich hoffe, er hat ihn mitgenommen.«
»Verdammt«, sagte Cyprian.
»Kommst du jetzt mit rein?«
»Später«, sagte Cyprian. Melchior konnte sehen, dass er hin- und hergerissen war. Er wäre nicht der gewesen, als der der alte Kardinal ihn schätzte, wenn er sich nicht auch in diesem Augenblick für seine Familie entschieden hätte.
»Ich mache den teuersten Wein auf, den du im Keller hast«, drohte Melchior. Es fiel ihm schwer genug, einen leichten Tonfall zu finden.
»Iss den Korken nicht auf«, sagte Cyprian und stapfte davon.
Melchior Khlesl blickte seinem Neffen nach. Er war nicht glücklich darüber, ihn einmal mehr unter Druck gesetzt zu haben. Nicht zum ersten Mal dachte er darüber nach, wie viel Wahrheit in der Aussage steckte, dass man dem Teufel ähnlich wurde, wenn man sich mit ihm einließ – selbst wenn man alles tat, um ihn zu bekämpfen.
Cyprian bog um eine Ecke, ein dunkel gekleideter Mann mit breiten Schultern, dem niemals ganz klar sein würde, dass er eine Wahrhaftigkeit ausstrahlte, die wegen seiner gelassenen Ruhe umso eindringlicher wirkte, und dass im Grunde jeder sich zu ihm hingezogen fühlte, der Aufrichtigkeit, Geborgenheit und Treue schätzte. Unwillkürlich hob der alte Kardinal die Hand und winkte seinem Neffen nach.
Er sollte ihn nicht mehr lebend wiedersehen.
6
» Ich muss heute spätestens zur dritten Stunde post meridiem zurück sein«, keuchte Alexandra. Als sie Henyks verständnislosen Blick sah, begann sie, im Kopf zu rechnen. »Das ist nach der böhmischen Zeitrechnung mit der Großen Uhr … Sonnenuntergang war gestern zur fünften Stunde post meridiem … also zur nullten Stunde nach der Großen Uhr … Sonnenaufgang war demnach zur vierzehnten Stunde nach der Großen Uhr … jetzt ist Mittag, das ist die neunzehnte Stunde nach der Großen Uhr … also zur zweiundzwanzigsten Stunde!«
Sie sah Henyk den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher