Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Treffen erlaubt. Sind Sie sicher, dass Sie Kardinal Melchior richtig verstanden haben?«
»Liebste Alexandra, ich stand doch direkt neben ihm.« Sie hörte ihn seufzen und lenkte ihre nächsten Schritte so, dass ihre Körper sich noch stärker als zuvor berührten. Henyk ließ den Kopf hängen. »Ihr Vater wollte Sie nur nicht vor den Kopf stoßen, das ist alles. In Wahrheit hat er seine Pläne längst gefasst, und ich komme darin nicht vor. Der Kardinal hat ganz eindeutig zu Bischof Lohelius gesagt, dass Ihre Heirat binneneines Jahres stattfinden würde, sobald Ihr Vater einen geeigneten Kandidaten unter seinen Geschäftspartnern gefunden hätte. Und dass keinesfalls ein Ýabgebrannter Edelmann mit nichts als großen Plänen und einem hübschen Gesicht, wie sie zu Dutzenden den Hof bevölkernÜ, in Frage käme.« Henyk zuckte mit den Schultern und umfasste ihre Hand. Seine Hand war heiß, obwohl die Kälte biss und er keine Handschuhe trug. Er schien ständig von innen heraus zu brennen und genug Hitze zu besitzen, um sie beide zu wärmen. »Er hätte wahrscheinlich geschwiegen, wenn er geahnt hätte, dass ein Edelmann mit nichts als großen Plänen und einem Herzen neben ihm stand, das voll und ganz der Frau gehört, über die er sprach. Aber seinesgleichen übersieht ohnehin eine unbedeutende Person wie mich.«
»Sie sind nicht unbedeutend! Für mich sind Sie der wichtigste Mensch auf der Welt!«
Er tätschelte ihre Hand und wandte sich ab. Alexandra nahm an, dass er sie die Verzweiflung nicht sehen lassen wollte, die sich über seine Züge senkte. Sie hatte gedacht, dass der Schmerz über die Eröffnung, die Henyk ihr beim letzten Mal zögernd und offenbar unwillig gemacht hatte, leichter werden würde, aber er wurde eher noch schlimmer. Gestern beim Gespräch mit ihrem Vater, als dieser darauf mit keinem Wort eingegangen war und sie ihm am liebsten ein »Lügner!« ins Gesicht geschleudert hätte, hatte sie all ihre Kräfte gebraucht, um an sich zu halten.
Sie legten den Rest des Wegs schweigend zurück. Die süße Nervosität, die Alexandra gefühlt hatte, machte immer mehr einer beginnenden Beklommenheit Platz. Nicht dass dieses Gefühl nicht auch mit Erregung gepaart gewesen wäre, doch gegen den Widerstand dieser Erregung kämpften sich langsam Vorbehalte ans Licht. Wollte sie es wirklich? Es bestand kein Zweifel, dass sie es mit ihm tun wollte, aber hier? Auf diese Weise? Halb aus Rache an ihren Eltern? Sie fragte sich,wie sie auf diesen Pfad geraten war – es schien nur so kurze Zeit her zu sein, dass ihre Mutter das Vorbild ihres Lebens und ihr Vater das Abbild des Mannes gewesen war, den sie einmal heiraten wollte. Was hatte sie so sehr von ihnen entfremdet?
Aber die Frage war leicht zu beantworten – ihre Unehrlichkeit. Sie war überzeugt, dass Henyk sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als seine Geheimnisse mit ihr zu teilen, hätte er gewusst, wohin sie Alexandra getrieben hatten. Aber sie selbst hatte ihm gesagt, dass nichts zwischen ihnen stehen dürfe, und so hatte er zögernd das eine oder andere durchblicken lassen. Dass ihre Mutter sie am liebsten für immer nach Wien geschickt hätte, weil sie sie dem Leben in Prag für nicht gewachsen hielt. Dass Kardinal Khlesl seit Jahren einen Platz im Konvent von St. Agnes für sie freihielt, weil er der Meinung war, sie sei zu aufsässig und würde nur hinter Klostermauern nicht imstande sein, der Familie und damit ihm Schande zu machen. Dass ihr Vater sich zuweilen öffentlich enttäuscht äußerte, dass sein ältestes Kind ein Mädchen war und kein Junge. Das Schlimmste daran war, dass sie nicht das leiseste bisschen von diesen Zweifeln ihrer Person gegenüber geahnt hatte. Wie konnte man nur so doppelzüngig sein? Und wie konnte man Menschen so nahestehen und dies doch nicht bemerken?
Eine Stimme, die sich ein wenig wie die jener Alexandra Khlesl anhörte, die sie vor ein paar Wochen noch gewesen war, meldete sich und fragte, was diese Erkenntnis hinsichtlich Henyks – Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz’! – bedeutete, dem sie sich ebenfalls nahe fühlte. Sie brachte die Stimme zum Schweigen.
Der Eintritt in die Wunderkammer des sechs Jahre nach seinem Tod bereits in die Sphären unheimlicher Legenden eingegangenen Kaisers Rudolf war zugleich ehrfurchtgebietend und eine Enttäuschung. Ein laut hallendes Gewölbe, das so kalt war wie eine Gruft und beinahe lichtlos, empfing sie. Alexandras Atem bildete kleine Wölkchen, die im
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