Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Licht von Henyks Laterne schimmerten. Der müde Lichtschein geisterte über Säulen und warf schwache Schatten in die Dunkelheit des Deckengewölbes. Unangenehm berührt machte sie sich klar, dass die Kälte alles andere als förderlich für den Plan war, dem Mann ihres Herzens einige ihrer Geheimnisse zu offenbaren. Da wandte Henyk sich zu ihr um und lächelte. »Lassen Sie sich nicht abschrecken«, sagte er. »Das ist nur das Antichambre.«
Alexandra hielt den Atem an, als sie die Gewölbe hinter sich gelassen hatten. Hölzerne Regalreihen erhoben sich in der Düsternis. Sie waren leer, aber das Laternenlicht zauberte flackerndes Leben hinein. Aus den Ecken ertönte das Rascheln flüchtender Ratten. An ein paar Stellen an der Wand lagen kleine Häufchen zerborstener Balken, die erst, wenn man näher kam, ihre richtige Proportion bekamen und sich von Balken in Teile zerschmetterter Bilderrahmen verwandelten.
»Hier begann das Reich von Kaiser Rudolf«, flüsterte Henyk. »Hier übertrat man die Schwelle zum bizarrsten Geist unserer Zeit. Stellen Sie sich vor, wie diese Regale mit wundersamen und schrecklichen Dingen zugleich vollgestopft sind: konservierte Lebewesen, mumifizierte Leichenteile, Fabelwesen, von denen bis heute niemand weiß, ob sie echt waren oder geschickte Täuschungen, merkwürdig geformte Nüsse …« Er lächelte sie an, und sie ahnte, dass er seine nächsten Worte gut überlegte. Ihre Blicke ermutigten ihn weiterzusprechen. »Manche sahen aus wie Körperteile, heißt es.«
Sie stand dicht vor ihm und fühlte die Hitze, die er abstrahlte.
»Hände?«, fragte sie und wusste, dass es nicht so war. »Füße?«
Seine Augen schimmerten. Seine Lippen waren immer noch in einem leichten Lächeln geöffnet, und Alexandra versuchte, ihm einen Gedanken zu senden: Küss mich! Küss mich!
»Nein«, flüsterte er. Seine freie Hand zeichnete etwas Vages in die Luft. »Nein.«
Ihre Lider flatterten. Plötzlich bemerkte sie, wie dicht sie voreinanderstanden. Sie hob eine Hand und berührte das Vorderteil seines Mantels. Sie hörte, wie er den Atem einzog. Sie schloss die Augen und hob ihm das Gesicht entgegen. Überrascht fühlte sie, wie er sich abwandte.
»Kommen Sie weiter«, sagte er heiser. Sie fühlte kurz eine Enttäuschung, aber als sie die Augen wieder öffnete, sah sie seinen Blick und dass seine Wangen gerötet waren. Er wollte das Spiel ausdehnen? Gut. Sie würde es ihm schwer machen, die Verzögerung durchzuhalten!
Ein Hauch warmer Luft kam ihnen entgegen, als sie weiter in das Kuriositätenkabinett eindrangen. Die Luft wurde weniger kalt, dafür stickiger und ließ eine Duftmischung aus Alkohol, Kräutern und der Abluft einer großen Küche erahnen.
»Die Wände waren voller Bilder«, sagte Henyk. »Kaiser Matthias hat sie alle abnehmen lassen und entweder verkauft oder an befreundete Fürsten verschenkt: Arcimboldos, Michelangelos, Raffaels … Kaiser Rudolf hatte sie in phantastische Rahmen aus Elfenbein, Wurzelholz oder Knochen fassen lassen; man hat sie herausgeschnitten und die Rahmen einfach zerbrochen liegen gelassen. Die Regale waren voll mit Tierzähnen und Schnitzereien, in Gold gefasst, mit Edelsteinen besetzt. In den ersten Monaten von Kaiser Matthias’ Herrschaft ist alles, was nicht einen unmittelbaren Wert besaß, im Hirschgraben gelandet.« Das Laternenlicht strich über verstaubte Artefakte, deren einstige Pracht sich nur noch erahnen ließ, über Truhen und Schatullen, holte geschnitzte Masken aus der Dunkelheit, die mottenzerfressenen Körper von ausgestopften Tieren … Es lagen noch immer Hunderte von Gegenständen in den Fächern. Alexandra wagte nicht, sich vorzustellen, wie die Wunderkammer ausgesehen hatte, als sie noch in Ehren gehalten worden war. Sie stellte sichGold vor, das in den Schatten schimmerte, und Geschmeide, das Reflexe an die Wände warf, brennende Kerzen und Ölschalen überall, Teppiche, bunte Gobelins, an den Wänden der matte Glanz der Gemälde und dazwischen, hinkend und grotesk und von seinen Schätzen verzückt, der Golem, in den sich Kaiser Rudolf in seinen letzten Jahren verwandelt hatte. Sie schluckte, verzaubert, beklommen, atemlos und ehrfürchtig zugleich. Sie wusste, dies war einer der Momente, die Henyk und sie immer und immer wieder erleben würden. Sie würden sich ansehen, und er würde sagen: Weißt du noch, wie ich damals den Schlüssel zum Kuriositätenkabinett gestohlen habe, um es dir zu zeigen? Und sie würde sagen: Weißt
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