Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
denn wissen, dass ihm nicht schon seit Jahrhunderten bekannt ist, was wir gerade in diesem Augenblick tun? Vielleicht macht er sich sogar einen riesigen Spaß daraus, dass er uns heimlich und voller Wonne dabei zusieht, wie wir anhand dieser Kritzeleien nach einem Pergament suchen, dass es in Wahrheit gar nicht gibt.«
    Anne schluckte, und ihr wurde plötzlich schlecht. Darauf konnte sie nichts erwidern.
    »Du hast Recht, Anselmo«, sagte Cosimo, »wir wissen es nicht. Aber wir können hoffen. Und solange wir keinen Beweis dafür haben, dass Giacomo den Brief gefälscht hat, werden wir versuchen das Pergament zu finden. Auch wenn wir dabei Gefahr laufen, einer falschen Spur zu folgen und Giacomo zu erheitern. Wir haben keine andere Wahl. Dieser Brief ist die einzige Chance, die wir zur Zeit haben.«
    Anselmo schwieg mit gerunzelter Stirn und herabgezogenen Mundwinkeln wie ein schmollender Schuljunge. Cosimo beugte sich wieder über den Brief.
    »Kirche«, murmelte er. »Was könnte de SaintClair mit › Kirche ‹ gemeint haben? Einen bestimmten Ort? Vielleicht das Grab eines Mitbruders oder das eines Heiligen? Aber vielleicht handelt es sich um eine Art Geheimsprache, die der Abt des Klosters von Glastonbury sofort verstanden hätte.«
    »Schon möglich, aber …«
    »Aber was?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Anne und starrte auf die kleinen Buchstaben, bis ihr die Augen brannten. Sie hoffte immer noch, sie allein mit der Kraft ihres Willens dazu zu zwingen , ihr Geheimnis preiszugeben. »Dieser Pater Joseph gehörte doch keinem Geheimorden an, der Geheimsymbole verwendet, oder?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht helfen. Der Schlüssel für den Code muss hier stehen. Irgendwo in diesem Brief. Wir müssen etwas übersehen haben.«
    »Was könnte das denn sein?«, fragte Cosimo. »Meint Ihr, deSaintClair könnte Geheimtinte benutzt haben?«
    Anne zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, vielleicht …«
    Doch Anselmos Gelächter unterbrach sie. »Geheimtinte?«, rief er aus und schlug sich in einer eindeutigen Geste mit der flachen Hand an die Stirn. »Denkt doch mal nach. Der Mann lag auf dem Sterbebett, geschwächt von der Pest. Den Brief hat er vermutlich in einem der letzten lichten Momente geschrieben, die der Fieberwahn ihm noch gelassen hatte. Da wird er ganz bestimmt die Zeit und den Verstand gehabt haben, um Geheimtinte zu benutzen. Und woher sollte er die Geheimtinte genommen haben? Dieser Pater Joseph und seine Mitbrüder starben möglicherweise in einem kleinen gottverlassenen Dorf, in dem nur eine Hand voll Bauern und ein paar Hirten wohnten. Die meisten von denen konnten gewiss noch nicht einmal schreiben oder lesen. Es wird deSaintClair schon schwer gefallen sein, sich Pergament , Feder und Tinte zu besorgen. Und da glaubt ihr, dass einer der Bauern ein Fässchen mit Geheimtinte irgendwo versteckt hatte? Möglicherweise im Schweinekoben oder unter dem Stroh? Vergebt mir meine Offenheit, aber Ihr seid doch verrückt.«
    Cosimo warf Anne einen Blick zu, und ein kaum sichtbares Lächeln huschte über sein Gesicht.
    »Auch wenn Anselmo in seiner Schilderung recht drastisch ist, so muss ich dennoch zugeben, dass seine Einwände nicht jeder Berechtigung entbehren.«
    »Aber irgendwo muss er es doch niedergeschrieben haben !«, rief Anne gereizt aus und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Sie war wütend – auf Anselmo, weil er außer dummen Sprüchen nichts Nützliches zur Lösung des Rätsels beitrug, auf Cosimo, weil er darüber auch noch lachen konnte, und auf sich selbst, weil sie offensichtlich zu dumm war, um den Code zu entschlüsseln. Und auf diesen Brief, weil er sein Geheimnis einfach nicht preisgeben wollte. »Irgendwo – zwischen den Zeilen, im Datum oder wie auch immer – muss dieser Pater Joseph geschrieben haben, wo sich das Pergament befindet . Ich weiß es!«
    Außerdem hättest du mich wohl kaum aus dem Jahr 2004 hierher geschickt, wenn das Pergament nicht hier wäre, dachte sie und sah Cosimo wütend an.
    Cosimo wich ihrem Blick aus, als würde er ahnen, dass sie über eine Zukunft nachdachte, von der er überhaupt nichts wissen wollte. Er sah plötzlich müde aus. Und viel älter, als sein Gesicht vermuten ließ. Wie alt war er jetzt wirklich? Anne rechnete kurz nach. Sie schrieben das Jahr 1530, und er war 1447 geboren worden. Dreiundachtzig – ein stolzes Alter. Dank des Elixiers hatte er sich gut gehalten. Er sah nicht älter aus als höchstens

Weitere Kostenlose Bücher