Die Waechter von Marstrand
Ein immer längerer Stängel mit einer verkapselten Blüte am Ende. Erst wenn sie sich öffnete, konnte man ihre Farbe erkennen.
Er war jetzt fertig, wälzte sich von ihr herunter und schlief ein. Aleida blieb liegen, bis er zu schnarchen anfing. Sie stand vorsichtig auf, wischte sich zwischen den Beinen mit einem Handtuch trocken und ging hinaus in die kühle Frühlingsnacht. Ihre salzigen Tränen vermengten sich mit dem Regen, der immer kräftiger zu werden schien. Die Kühe suchten unter einer großen Eiche Schutz. Langsam ging sie auf den Hof. Verwirrt und fast blind fand sie sich im Blumenbeet wieder. Der Geruch war so vertraut, sie hatte dieselbe Pflanze zu Hause in ihrem Garten in Den Haag. Und bei der Königin wuchsen sie längs der Gänge hinter dem Paleis Noordeinde. Sobald die Rockschöße die Blätter streiften, dufteten sie. Wenn sie die Augen schloss, würde sie beim Aufwachen vielleicht feststellen, dass sie nach zu viel Champagner im Schlossgarten ohnmächtig geworden war. Aleida kniff die Augen zu, aber das Tosen der Wellen hinter den Klippen machte es unmöglich, sich an einen anderen Ort zu fantasieren. Mit erdigen Füßen kletterte sie die glatten Felsen hinter dem Bremsegård hinauf. Tulpen, dachte sie und blickte bibbernd hinüber nach Marstrandsö. Tulpen sahen so schön aus, wenn es regnete.
21
Als der Helikopter eintraf, hatte sich Vendela weit draußen auf den Klippen bei Karlsholm befunden. Dröhnend setzte er zur Landung auf Klöverö an. Charlie, war ihr erster Gedanke. Er war so rastlos gewesen, hatte nur kurz gebadet und dann gesagt, er müsse »los«. Hastig suchte sie ihre Sachen zusammen, zog den Jeansrock und das verwaschene blaue Polohemd über den rot-weiß gestreiften Bikini und kletterte geübt über die Klippen. Das dauerte ewig! Brauchte man wirklich so lange für den Rückweg? Sie warf einen Blick auf ihr Handy und wünschte, sie und Charlie hätten die Fahrräder genommen. Oder es gäbe Empfang auf der Insel, denn dann hätte sie anrufen und sich vergewissern können, ob alles in Ordnung war.
Vendela rannte zwischen den Weiden hindurch, wo die Kühe sie anglotzten. An der Abzweigung bog sie nach links ab und stand wenige Minuten später zwischen den Birnbäumen hinter dem Bremsegård. Keuchend ging sie die Steinstufen hinauf und öffnete den linken Türflügel.
»Hallo? Ist jemand zu Hause? Charlie?«
Vendela stellte ihre Badetasche im Flur ab und rannte mit großen Schritten ins Obergeschoss. In ihren Beinen rebellierte die Milchsäure.
»Charlie? Bist du hier?«
Nur das Knarren der Holztreppe unter ihr war zu hören.
Sie ging ganz nach oben und betrat, ohne anzuklopfen, Charlies Zimmer. Es war leer. Das Bett war ungemacht, aber der Computer ausgeschaltet. Sie legte sogar die Hand auf den Computer, um zu überprüfen, ob er noch warm war. Das war er nicht.
Vendela wählte Astrids Nummer. Niemand meldete sich. Nun machte sie sich richtige Sorgen. Sie rannte hinunter und wollte ihr Fahrrad aus dem Schuppen holen, musste aber feststellen, dass es bereits jemand anders genommen hatte. Ganz hinten stand noch ein Rad, aber das herauszuholen hätte genauso lange gedauert wie zu Fuß zu Astrid zu gehen.
Bitte, lass nichts passiert sein, mach, dass alles in Ordnung ist. Vendela versuchte, sich zu beruhigen, während sie über den Schotterweg an der Kuhweide vorbei und dann links über den Hügel rannte. Sie hörte wieder den Hubschrauber. Bald sah sie den Stahlrumpf über sich, der Richtung Süden flog. Er musste aus der Nähe von Astrid kommen, aber möglicherweise war er dort ja auch nur gelandet, weil sich ein Urlauber verletzt hatte. Vendela zwang sich, das letzte Stück zu rennen. Sie umrundete das Haus und betrat den Garten. Er war voller Leute. Astrid stand neben Rickard, und drei Männer und eine Frau, die sie noch nie gesehen hatte, redeten mit den beiden. Charlie war nirgendwo zu sehen. Sie eilte zu Astrid und wollte sie gerade nach ihrem Sohn fragen, als sie Jessica neben dem Plumpsklo im Gras liegen sah. Ihr Gesicht war dick geschwollen, und die Augen waren geschlossen.
»Was ist passiert?«, fragte Vendela und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Was, in Gottes Namen, ist hier los?« Ihre Stimme überschlug sich fast.
Rickard hörte auf zu weinen und ließ sich von Vendela in den Arm nehmen.
»Brüderchen«, sagte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, Rickard seit einem Sturz vom Birnbaum jemals wieder weinen gesehen zu haben. Damals waren
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