Die Waechter von Marstrand
Familie beschützen. Es war eben so.« Sie nickte sich selbst zu. Vielleicht wurde es Zeit, altes Unrecht zu vergessen?
»Du redest, als ob er noch leben würde«, hatte Lovisa gesagt.
»Bei Johannes Andersson weiß man nie. In irgendeinen Himmel kommt der bestimmt nie. Genau wie Daniel Jacobsson. Fragt sich, wo sie abgeblieben sind. Was sagt denn dein Mann?«
Lovisa schwieg eine Weile, bevor sie antwortete:
»Dass Johannes Andersson der Teufel persönlich war, aber nur, wenn Oskar Emanuel es nicht hört. Wenn der Junge es so möchte, dann soll er seinen Willen haben. Das Mädchen kommt zumindest nicht mit leeren Händen.«
Manchmal fragte sich Agnes, woher ihr Schwiegersohn wusste, dass Johannes Andersson der Teufel persönlich gewesen war. Konnte es daran liegen, dass er bei einigen Fahrten der Seeräuber mit an Bord gewesen war und mitihnen geplündert hatte, um in der Zeit, als der Heringfang so dürftig ausfiel, Hunger und Armut vom eigenen Haus fernzuhalten? Johannes hatte ihnen nie Schwierigkeiten gemacht, wie so vielen anderen auf der Insel. Mehr als einmal hatte sich Agnes darüber gewundert. Auf all diese Fragen würde sie nie eine Antwort erhalten.
Tuin. Tulpen. Perziken.
Die Gedanken an ihren Garten hatten Aleida Kraft gegeben. Sie hatte Agnes die Tulpen, die Pfirsiche und das Schloss so lebendig beschrieben, dass auch Agnes das alles vor sich gesehen hatte. Vielleicht hatte es auch an der Sprache gelegen. Agnes legte sich ein Tuch um die Schultern. Es war kühl. Sie ging in die Kammer, vielleicht würde sie noch einmal einschlafen. Sie schloss die Augen. Ein Sohn, der die Enkelin seines Vaters heiratet. Aber es wusste ja niemand davon. Außer ihr.
»Großmutter? Bist du wach, Großmutter?«
Agnes lächelte, als sie die Stimme hörte.
»Grüß dich, Oskar Emanuel.«
»Mutter meint, dass du mehr Platz in der Kammer hättest, wenn wir den Sekretär woanders hinstellen würden.«
»Ich möchte ihn lieber hierbehalten.« Agnes schlug die Augen auf.
»Aber Mutter hat mich gebeten, ihn zu verrücken.«
»Sag Lovisa, sie soll zu mir kommen. Hier werden überhaupt keine Möbel umgestellt. Ich bin müde, aber nicht tot.«
»Wie geht es dir, Oma?«
»Oma?« Agnes lächelte. »Dass du dich daran noch erinnerst. Es geht mir gut. Wenn nur der verflixte Husten bald nachlassen würde. Wie geht es Selma und dem Jungen? Carl Julius, was für ein schöner Name.«
»Er wächst. Es geht alles so schnell.«
»Gewiss.«
»Er erinnert mich an Großvater Oskar.«
»Tatsächlich? Großvater Oskar war unheimlich gern mit dir zusammen. Weißt du das noch?«
»Ich entsinne mich vor allem an seine Stimme, wenn er lachte. Ich weiß zwar nicht, ob er wirklich so viel gelacht hat, aber in meiner Erinnerung war er immer fröhlich.«
»Er hatte eben eine nette Frau.« Agnes lächelte, doch dann spürte sie wieder einen Schmerz in der Brust. Es schien dieselbe Stelle zu sein, an der sie damals mit dem Messer verletzt worden war. Rief Oskar da von der anderen Seite nach ihr?
»Hast du Schmerzen, Großmutter?«
»Sei so lieb und öffne die oberste Schublade vom Sekretär. Die kleine ganz oben links.«
Oskar Emanuel beugte sich vor und zog behutsam an dem kleinen Ebenholzknauf. In der Lade lag eine Holzschachtel. Er nahm sie heraus und reichte sie seiner Großmutter. Agnes legte sie auf das Federbett und betrachtete sie eine Weile. Dann nahm sie den Deckel ab und reichte Oskar Emanuel die Brosche.
»Ich möchte, dass du gut auf sie aufpasst. Sie stammt aus Holland. Du weißt doch, dass unsere Familie aus Holland stammt? Sorge dafür, dass sie immer in der Familie bleibt. Versprichst du mir das?«
»Ich werde mein Bestes tun.« Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Du warst immer so gut zu mir.«
Agnes strich ihm über den Kopf.
»Kannst du den Reim noch, den ich dir beigebracht habe? Den holländischen?«
»Weißt du was, Großmutter? Selma hatte ein holländisches Buch mit diesem Kinderreim auf dem Bremsegård. Ist das nicht merkwürdig? Wir wollen ihn Carl Julius beibringen, wenn er etwas größer ist.«
» Lief kind .« Agnes griff nach seiner Hand. » Het komt wel goed. «
Sie lehnte sich zurück in die weichen Kissen. Das Tagebuch. Sie hatte schon eine ganze Weile nichts mehr hineingeschrieben. Es lag in seinem Versteck und würde vielleicht nie gefunden werden. Falls sie morgen etwas munterer war, würde sie es ins Feuer werfen. Aber zuerst musste sie sich ein bisschen ausruhen.
29
Eine halbe
Weitere Kostenlose Bücher