Die Waechter von Marstrand
ganze Delegation sucht nach Aleida Maria van der Windt.«
»Aleida? Ist ihretwegen ein Schiff gekommen? Was sagst du da?«
»Sogar das Schiff der Königsfamilie. Kannst du dir das vorstellen? Sie ist nicht irgendwer.« Oskar dachte fieberhaft nach.
»Das Schiff der Königsfamilie?«, wiederholte Agnes und spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte.
»Wann hast du sie zuletzt gesehen?«, fragte Oskar. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Agnes, ob sie ihm alles erzählen sollte, aber es ging nicht. Zu viel stand auf dem Spiel. Diese Bürde musste sie allein tragen.
»Ich weiß es nicht mehr genau«, erwiderte sie zögerlich und dachte an den Brief, der offenbar angekommen war. Der Brief an die Königin. Den sie abgeschickt hatte.
An diesem Abend blieb Agnes bis spät in die Nacht auf und schrieb Tagebuch. Sie schrieb und schrieb, um die schreckliche Wahrheit zwischen die Buchdeckel zu bannen. Dann streute sie Sand über die Seiten und schlug den ledernen Einband zu. Von nun an würde sie es im Geheimfach von Großmutters altem Sekretär aufbewahren müssen. Niemand durfte jemals lesen, was sie schrieb, und doch musste sie es aufschreiben, um es loszuwerden. Sie berichtete von Aleida, dem Brief und dem Jungen, den sie geschenkt bekommen hatten. Oder geliehen? Gott im Himmel, wo steckte Aleida? Hatten die Holländer sie gefunden und abgeholt, oder waren die Kaufleute von Marstrand ihnen zuvorgekommen? Die Truppe, die an ihre Tür geklopft hatte, verhieß nichts Gutes. Agnes erschauerte bei dem Gedanken und blickte an den beiden Blumentöpfen mit dem Springkraut vorbei durch das Fenster. Dann faltete sie die Hände.
» Lieve God, bescherm Aleida. Amen .«
28
Die Polizisten hatten eine Menge Fragen gestellt. Sie mussten natürlich herausfinden, was Jessica zugestoßen war, das konnte sie verstehen. Astrid legte das Buch zur Seite. Obwohl die Ereignisse des Tages es ihr schwer machten, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, hatte sie sich eine Weile mit dem Tagebuch hingesetzt. Mühevoll hatte sie noch ein paar Seiten gelesen. Nun saß sie hier, erschüttert. Konnte das wirklich wahr sein? Sie stand auf und griff erneut zur Familienbibel. Agnes und Oskars Linie endete also mit Lovisa. Der Strich, der Oskar Emanuel mit ihnen verband, war falsch.
Astrid holte sich Stift und Papier und skizzierte mit Hilfe der Familienbibel einen neuen Stammbaum, der mit Aleida begann. Aleida van der Windt und Johannes Andersson bekommen einen Sohn, Oskar Emanuel. Der Name Johannes hatte bislang keine große Bedeutung für sie gehabt, aber sie hatte gewusst, dass dieser Vorfahr im Jahr 1814 den Bremsegård zurückgekauft hatte, weil seine Mutter dort aufgewachsen war. Mit ihrem neuen Wissen konnte sie sich ein viel genaueres Bild von dem Mann machen. Er war ein Seeräuber, ein Berserker und vielleicht hatte er auch Aleida auf dem Gewissen. Außerdemwar er der Vater ihres Kindes. Astrid hatte einige Seiten weitergeblättert, aber über Aleida stand dort nichts mehr. Nur, dass Agnes sich fragte, wo sie abgeblieben war.
Ich glaube, ich weiß, wo sie versteckt wurde, dachte Astrid und schüttelte den Kopf. Mit Lovisas totem Sohn im Alten Moor.
Erneut blickte Astrid auf das Blatt Papier. Sie hatte ihre väterliche Linie von Johannes Andersson bis zu ihr selbst aufgezeichnet. In ihren Adern floss Seeräuberblut. Diese Seeräuber hatten nicht davor zurückgeschreckt, anderen den Garaus zu machen, um selbst gut zu leben. Johannes’ Enkelin Selma heiratet Oskar Emanuel, und Carl Julius wird geboren. Großvater Carl Julius, dachte Astrid. Gott im Himmel! Johannes war der Großvater von Selma und Oskar Emanuels Vater.
War Astrid die Erste, die nach all diesen Jahren das Tagebuch las? Erstaunlich, dass Agnes es gewagt hatte, all diese Dinge niederzuschreiben. Was, wenn jemand das Buch gefunden hätte? Was, wenn es Lovisa in die Hände gefallen wäre? Agnes musste es irgendwo versteckt haben.
Astrid ging in die Küche und kochte sich einen starken Tee mit Heidehonig. Dann ließ sie sich auf das Sofa fallen und schaltete den Fernseher ein. Der übermotivierte Moderator der Antikrunde hielt einen Gegenstand nach dem anderen in die Höhe.
»Was könnte der wert sein?« Er wandte sich der Dame zu, die neben einem großen dunklen Schrank stand, der von innen lackiert war.
»Schwer zu sagen, mein Großvater hat ihn vor vielen Jahren gekauft.«
»Weißt du, was er dafür bezahlt hat?«
»Eintausend Kronen, glaube ich, das war damals viel
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