Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
gebunden worden war.
»Jesus«, sagte ich.
»Du fluchst schon wieder«, sagte Tom.
Ich kletterte die Uferböschung hoch, nahm Toby entgegen, legte ihn auf die weiche Erde und starrte weiter auf den toten Körper. Tom rutschte die Böschung hinunter und sah, was ich sah.
»Ist das der Ziegenmann?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich. »Das ist eine tote Frau.«
»Sie hat nichts an.«
»Nein, sie hat nichts an. Schau nicht hin, Tom.«
»Ich kann nicht anders.«
»Wir müssen schnellstens nach Hause und es Daddy erzählen.«
»Mach ein Streichholz an, Harry. Dann können wir besser sehen.«
Ich überlegte und griff dann in meine Hosentasche. »Ich habe nur noch eins.«
»Mach es an.«
Ich entzündete das Streichholz und hielt es hoch. Die Flamme zitterte wie meine Hand. Ich ging so nahe heran, wie ich es bei dem Gestank konnte.
Im Licht der kleinen Streichholzflamme war es noch entsetzlicher.
»Ich glaube, es ist eine farbige Frau«, sagte ich.
Das Streichholz erlosch. Ich stellte den Karren auf, schüttelte den Matsch aus dem Flintenlauf und legte das Gewehr, die Eichhörnchen und Toby wieder in den Karren. Die Schaufel konnte ich nicht finden, wahrscheinlich war sie in den Fluss gefallen. Dafür würde ich noch Ärger bekommen.
»Wir müssen weiter«, sagte ich.
Tom stand am Ufer und starrte auf die Leiche, sie konnte ihre Augen nicht davon lösen.
»Jetzt komm schon!«
Ich zog sie weg. Wir gingen jetzt am Ufer entlang. Ich schob den Karren, immer wieder blieb er im Matsch stecken, und irgendwann verließ mich die Kraft.
Ich band die Eichhörnchen mit ein paar Schnüren, die Tom in der Tasche hatte, an den Beinen zusammen und wickelte sie mir um die Taille. »Tom, du nimmst jetzt das Gewehr, und ich nehme Toby.«
Tom nahm das Gewehr. Ich nahm Toby in die Arme. Wir gingen los zur Schwingenden Brücke, dorthin, wo der Ziegenmann wohnte.
*
Meine Freunde und ich machten normalerweise einen Bogen um die Schwingende Brücke. Alle außer George. George hatte vor nichts Angst; andererseits war George einfach nicht intelligent genug, um vor vielem Angst zu haben.
Die Brücke spannte sich an Seilen von der einen hoch gelegenen Uferböschung zur anderen. Die Bretter waren mit rostigen Metallklammern und verrotteten Tauen an den Seilen befestigt. Ich wusste nicht, wer die Brücke gebaut hatte oder wie alt sie war. Kann sein, dass es einmal eine wirklich gute Brücke gewesen war, jetzt aber fehlten eine Menge Bretter, andere waren morsch und zerbrochen. Die Seile, zwischen denen die übrig gebliebenen Bretter hingen, waren zu beiden Seiten des Ufers an Metallstangen befestigt, die einmal tief in der Erde gesteckt hatten – aber jetzt sah man an einigen Stellen, wo der Fluss die Erde am Ufer abgetragen hatte, die freigelegten Enden dieser Stangen. Noch ein wenig mehr Zeit und Wasser, und das ganze Ding würde zusammenbrechen.
Wenn der Wind blies, schaukelte die Brücke; wie es bei einem richtigen Sturm war, wollte ich mir lieber nicht vorstellen. Ich war nur einmal zuvor über diese Brücke gegangen, da war es völlig windstill und trotzdem unheimlich genug gewesen. Jedes Mal, wenn ich einen Schritt getan hatte, von einem Brett aufs andere, hatte die Brücke geschwankt und gedroht, mich jeden Moment fallen zu lassen. Die Bretter hatten geknarrt und geächzt, morsche Teile der einzelnen Bretter waren abgesplittert und in den Fluss gestürzt; dort hatten sie sich gedreht, waren in der rasanten Strömung gegen Felsen geschmettert, über einen Wasserfall gerutscht und dann im tiefen, rauschenden, schäumenden Fluss verschwunden.
Und nun standen wir hier, mitten in der Nacht, schauten auf die Brücke, dachten an den Ziegenmann, an die Leiche, die wir gefunden hatten, an Toby, daran, dass es spät war, an unsere Eltern und die Angst, die sie mittlerweile um uns haben mussten.
»Wir müssen da rüber, oder?«, fragte Tom.
»Ja«, sagte ich. »Ich gehe vor, und du passt genau auf, wo ich hintrete. Wenn ein Brett mich trägt, trägt es dich auch.«
Die Brücke knarrte über dem Fluss. Sie bewegte sich zwischen ihren Seilen wie eine Schlange, die durch hohes Gras gleitet.
Es war schwer genug, über die Brücke zu gehen, wenn man sich mit beiden Händen festhalten konnte, aber jetzt, mit Toby auf dem Arm, mitten in der Nacht, mit Tom, die versuchte, das Gewehr festzuhalten … das Ganze war nicht sehr vielversprechend.
Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, einfach den Weg zurückzugehen, den wir gekommen waren;
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