Die Wälder am Fluss - Lansdale, J: Wälder am Fluss - The Bottoms
waren, damit man etwas bequemer saß, und überließ die Sessel und die Couch den Erwachsenen.
Die kleine Tür in dem Ofen war dieses Mal geschlossen, und ein brauner Hund mit einem weißen Fleck auf der Nase lag davor. Da kein Feuer brannte, nahm ich an, er lag gewohnheitsmäßig hier. Der Hund sah uns, stand auf und kam mir mit gesenktem Kopf entgegen. Er humpelte. Ich bemerkte, dass ein Teil seines Vorderlaufes durch einen Unfall abgetrennt worden war. Ich tätschelte seinen Kopf, und er legte ihn auf meinen Schoß, weil er gestreichelt werden wollte. Ich stupste ihn auf die Nase.
Grandma erzählte Dr. Tinn von Daddy, Dr. Tinn hörte konzentriert zu und nickte hin und wieder. Ich fand das beschämend. Ich hätte niemandem erzählt, wie verloren Daddy in diesen Tagen war, aber mich fragte keiner. Grandma hatte ihre eigenen Methoden.
Als sie fertig war, schüttelte Dr. Tinn den Kopf. »Das ist schlimm. Ich mag Jakob. Ich mag ihn wirklich.«
»Das ist einer der Gründe, warum wir zu Ihnen gekommen sind. Wir versuchen herauszufinden, wer all diese Morde begangen hat.«
»Ich habe gehört, wie Sie mit Daddy gesprochen haben«, sagte ich. »Ich war auf dem Dach des Kühlhauses. Sie scheinen eine Menge von diesen Sachen zu verstehen – nach allem, was Sie gesagt haben.«
»Ich wusste, dass du da oben warst. Dein Daddy ebenfalls. Nicht von Anfang an, aber irgendwann haben wir’s gemerkt.«
»Du hättest die Jungs da runterjagen sollen«, sagte Mrs. Tinn.
»Sie haben gesehen, was sie gesehen haben«, sagte Dr. Tinn, »das konnte man nicht mehr ändern. Und was diese Morde betrifft: Keiner weiß besonders viel darüber. Macht es dir was aus, das alles zu hören, Liebling?«
»Mein Herz und mein Bauch sind ein bisschen zu empfindlich für so was, aber meine Neugierde ist hart wie Stahl. Ich bleibe.«
»Also«, fuhr Dr., Tinn fort, »im Grunde weiß ich überhaupt nichts. Nicht wirklich. Aber ich habe ein paar Sachen gelesen und viel drüber nachgedacht. Dieser Mörder ist kein Freier, der nicht zahlen will, verstehen Sie?«
Grandma nickte.
Ich überlegte. Freier? Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.
»Er genießt es, Menschen zu verletzen. Wie bei diesem de Sade. Die Vorstellung, dass sie leiden, macht ihn glücklich.«
»Das kann man sich kaum vorstellen«, sagte Grandma. »Bestimmt will er das gar nicht wirklich. Etwas muss ihn dazu getrieben haben.«
»Sie haben Recht. Er ist getrieben. Aber er will es tun. Er mag es, das zu tun.«
»Das können Sie doch gar nicht wissen«, sagte Grandma.
»Ma’am, Sie haben mich um meine Meinung gebeten. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten.«
»Entschuldigen Sie, Doktor. Bitte reden Sie weiter.«
»Ich habe zu Hause ein Buch mit dem Titel Psychopathia Sexualis von Richard Krafft-Ebing. Es ist wahrscheinlich eine ziemlich morbide Neugier, die ich da habe, aber so was interessiert mich nun mal. Darin steht einiges über Leute, die es genießen, verletzt zu werden …«
»Die sich Schmerzen wünschen?«, fragte Grandma.
»Ja. De Sade hat das in seinen Büchern beschrieben.«
»Die hab ich nicht gelesen«, sagte Grandma, »und ich bin auch nicht sicher, ob ich sie je lesen will.«
»Da haben Sie vermutlich recht, Ma’am … und dann gibt es noch die, die es genießen, anderen Schmerz zuzufügen. Es gibt ihnen Kontrolle über Menschen, über die sie normalerweise keine Kontrolle hätten. Oder vielleicht mögen Sie auch einfach die Idee von Macht.«
»Diese Frauen«, fragte Grandma, »sind das Prostituierte?«
»Scheint so.«
»Ist das nicht Kontrolle genug?«
»Es ist eine erlaubte Kontrolle. Er will aber totale Kontrolle. Es ist gut möglich, dass ihm früher mal etwas Schreckliches passiert ist, das ihn geprägt hat. Und jetzt glaubt er, solche Dinge tun zu müssen. Andere Leute fänden das, was der Mörder erlebt hat, vielleicht gar nicht so schrecklich – aber aus irgendeinem Grund hat die Intensität des Ereignisses seine Grundstruktur verändert. Und, in diesem Fall, nicht zum Besseren. Es wird noch was anderes in diesem Buch erwähnt: Fetischismus.«
»Was?«
»Das heißt, dass man verrückt nach bestimmten Dingen ist.«
»Ich bin verrückt nach Pfefferminzbonbons, aber ich bringe keine Leute um.«
Dr. Tinn lächelte. »Fetischisten sind zum Beispiel besessen von … na, sagen wir, Schuhen. Vielleicht suchte er sich nur Opfer aus, die eine bestimmte Art von Schuhen tragen. Oder eine besondere Sorte. Oder vielleicht will er, dass die Frau
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