Die Wälder von Albion
noch nie zuvor, und gleichzeitig vereinigte sich ihr ganzes Ich mit ihm. Sie wußte nicht, ob diese Einheit ein Teil von ihr war oder sie ein Teil von ihm - oder IHR. Das alles war nicht wichtig. Die Erfahrung der Vereinigung übertraf sogar die Freude, die Arme von Gaius zu fühlen, denn nun war sie nicht mehr allein. Eilan brannte, ohne zu brennen; die Flammen durchzuckten sie, ohne sie zu verletzen. Und wieder hörte sie die klare volltönende Stimme:
» Den Feind, den du besiegen willst, mußt du lieben.
Das Gesetz, dem du folgen sollst, mußt du brechen.
Das, was du behalten willst, mußt du opfern.
So wirst du siegen!
Tochter der Druiden,
Durch dich wird der Drache wiedergeboren.«
In ihrem Bewußtsein jagten sich Bilder von Blut und Macht, von Schlachten und Städten. Sie sah einen steilen grünen Hügel über einem riesigen See, Feuer und Schwerter und schließlich einen blonden Mann - er hatte die Augen von Gaius -, der in die Schlacht ritt. Sein Schild trug das Bild der Göttin.
»Ich bin bereit!« antwortete Eilan. »Aber laß mich nicht allein… «
» Du bist meine Geliebte.
Ich bin immer da! Du gehörst mir,
Von Jahrhundert zu Jahrhundert,
Durch alle Zeiten.«
Eilan wußte, daß sie diese Worte schon einmal gehört hatte. Es war nur die Erneuerung eines alten Bandes. Und die Liebe, die sie umgab, wurde zu einem Meer, in dem sie versank, zu einem Licht, von dem alles Bewußtsein aufgezehrt wurde.
Als Eilan wieder zu sich kam, lag sie in kühlem Wasser. Sie nahm undeutlich große, dunkle Bäume wahr und silbernes Mondlicht. Im nächsten Augenblick griffen viele Hände nach ihr und trugen sie ans Ufer. Sie öffnete staunend die Augen und erkannte, daß sie in dem Badeteich neben dem Bach lag, der sich nicht weit hinter dem Haus der jungen Frauen befand.
Eilan wollte etwas sagen und stellte fest, daß sie keine Worte hervorbringen konnte. Sie wußte, nichts von all dem, was in dieser Nacht geschehen war, ließ sich in Worte fassen. Es war ein Mysterium und für keine anderen Ohren bestimmt, auch nicht für die der Priesterinnen. Und doch verstand sie nicht, daß die Frauen es ihr nicht ansahen, denn die göttliche Kraft, das Feuer, brannte noch in ihr. Sobald sie aus dem Wasser kam, wurde ihre Haut trocken und leuchtete. Schweigend hüllten die Frauen sie in ein neues, mitternachtsblaues Leinengewand, das nur die geweihten Priesterinnen trugen.
»Du bist zwischen den Welten gewandert. Du hast das Licht gesehen, das keinen Schatten wirft. Du bist gereinigt worden… «
Eilan erkannte Cailleans Stimme. Sie hob den Kopf, aber sie sah, daß es die Frau an der Brüstung hoch über dem Meer war.
»Tochter der Göttin, tritt vor, damit deine Schwestern dich umarmen können… «
Die Priesterinnen stützten sie unter den Ellbogen und führten sie den Weg entlang zu dem heiligen Hain.
Lhiannon erwartete sie im Fackellicht unter den hohen alten Bäumen. An ihrer Seite stand Eilid und vor ihr Dieda. Als Dieda sich umdrehte, waren ihre Augen so groß und benommen wie Eilans Augen. Ihre langen lockigen Haare waren feucht.
Was ist mit ihr geschehen?
Als die Blicke der beiden sich trafen, fielen alle Schranken der vergangenen Jahre, und sie wußten nur noch, daß sie Schwestern waren.
Es ist schön, daß wir unser Gelübde zusammen ablegen!
Während dieser Gedanke Eilan mit großer Freude erfüllte, sah sie Dieda lächeln, und es war das Lächeln der Göttin.
Eilan sah sich langsam und staunend um. Alle Priesterinnen hatten sich versammelt, auch Miellyn, Gwenna und Latis und die anderen Lehrerinnen, denen sie ihr Wissen und Können verdankte. In jedem Gesicht spiegelte sich das silberne Licht der anderen Welt, und manchmal sah Eilan etwas mehr - die Ähnlichkeit mit Gesichtern und Gestalten, die sie in ihren Visionen gesehen hatte, die sich im langen Lauf der Zeiten veränderten, aber in ihrem Wesen gleich blieben.
Warum fürchten die Menschen den Tod, wenn wir wiedergeboren werden?
Die Druiden lehrten, daß die Seele im ewigen Kreislauf allen Lebens viele Gestalten annehmen konnte. Eilan hatte nie daran gezweifelt, aber nun wußte sie mit Sicherheit, daß es die Wahrheit war.
Das erklärte die Gelassenheit und innere Ruhe der geweihten Priesterin, die Lhiannon und Caillean am vollkommensten für sie verkörperten. Die Hohepriesterin konnte sich trotz ihrer Zartheit und Fehlbarkeit über alles erheben, denn auch sie war dort gewesen, wo Eilan herkam. Nichts in der Welt der Sterblichen, keine
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