Die Wälder von Albion
Vaters nehmen. Er wußte zwar nicht, wohin er gehen sollte, aber er würde so weit weg von Londinium sein wie nur möglich.
»Ich hoffe, du denkst nicht immer noch an dieses Mädchen… Seit du herausgefunden hast, daß sie noch lebt, spukt sie dir wieder ständig im Kopf herum«, brummte Macellius.
Sein Sohn hatte ihm nach der Rückkehr von jenem unglückseligen Einsatz beim letzten Beltane-Fest bittere Vorwürfe gemacht, weil er ihm verheimlicht hatte, daß Eilan nicht in den Flammen ums Leben gekommen war. Gaius hatte fast den Eindruck, sein Vater könne Gedanken lesen.
»Na ja, du weißt ja inzwischen, daß du sie nicht haben kannst.«
Später dachte Gaius, wenn sein Vater es bei dieser Bemerkung hätte bewenden lassen, dann wäre alles anders gekommen. Aber Macellius ließ es nicht dabei bewenden, sondern sagte: »Ich erwarte von dir, daß du klug genug bist, sie endgültig zu vergessen.«
Damit war alles entschieden! Als Gaius sich später an den Augenblick erinnerte, erkannte er, daß mit diesen Worten ihrer aller Schicksal besiegelt war.
»Also ich… «, sagte er langsam, »ich wollte eigentlich Clotinus besuchen.«
Der Ritt nach Süden gefiel Gaius. Er dachte an Eilan und an Cynric. Cynric hätte sein Freund werden können, und jetzt war er geächtet. Die Herrschaft der Römer, oder zumindest das, was er davon in der Präfektur beobachtet hatte, weckte immer mehr Zweifel bei ihm. Tag für Tag hatte er Dinge gesehen und gehört, die wenig zu tun hatten mit dem Glanz, dem Reichtum und den vielen hochtrabenden Worten, die immer und überall in dem Bekenntnis zu Recht und Ordnung zum Wohl der Menschheit gipfelten. Korruption und Intrigen, Brutalität und Selbstherrlichkeit, Geldgier und Bosheit waren die eigentlichen Kräfte, die zumindest in dieser römischen Provinz herrschten. Kein Wunder, daß die unterdrückten und ausgebeuteten Stämme von der römischen Kultur und den römischen Idealen nichts wissen wollten und wie Cynric und die Druiden auf Rache und Befreiung sannen.
»Rom verspricht alles und hält nichts«, hatte der geschwätzige Centurio einmal leicht angetrunken in der Taverne gesagt, und Gaius hatte ihm nicht widersprochen. Nein, Gaius war nicht mehr stolz darauf, ein Römer zu sein.
Aber jetzt fühlte er sich wie von Ketten befreit, als er im leichten Trab durch den Frühlingsmorgen ritt. Er hatte seinem Vater die Stirn geboten, und die nächsten Tage gehörten ihm ganz allein. Alles um ihn herum erwachte zu neuem Leben.
Das Wetter war schön. Morgens war es klar und kalt, aber tagsüber wurde es warm und sonnig. Nur hin und wieder fiel etwas Regen.
Clotinus freute sich über seinen Besuch und begrüßte ihn mit offenen Armen. Gaius wußte sehr wohl, der herzliche Empfang galt nicht ihm. Clotinus war an einem guten Verhältnis mit den mächtigen Römern gelegen, aber Gaius fühlte sich in dem Haus dort trotzdem wohl. Gwenna war bereits verheiratet und lebte mit ihrem Ehemann in einer kleinen Provinzstadt. Also belästigte sie ihn diesmal nicht.
Das Landgut des Clotinus war kein schlechter Platz, um einen Urlaub zu verbringen, obwohl Gaius beschlossen hatte, bald weiterzureiten. Clotinus hatte gute Köche, und seine jüngste Tochter - sie war erst zwölf - leistete Gaius Gesellschaft. Sie hörte ernst und teilnahmsvoll zu, als er ihr erzählte, daß sein Vater ihn mit einer unbekannten Frau verheiraten wollte. Das Mädchen schien sogar bereit, ihn auch anders zu trösten; aber Gaius beherzigte diesmal den Rat seines Vaters, sich grundsätzlich nicht mit den Frauen der Stämme einzulassen.
Er verbrachte viel Zeit damit zu überlegen, wie er Eilan eine Nachricht zukommen lassen könnte, ohne die Drachen aufmerksam werden zu lassen, die sie bewachten. Ihm fiel nichts ein, außer verzweifelt zu Venus zu beten. Im Schlaf drückte er seufzend und stöhnend die Decken an sich und wußte beim Erwachen, daß er wieder einmal von Eilan geträumt hatte.
Aber ich liebe sie doch!
Die Hoffnungslosigkeit seiner Lage überwältigte ihn.
Ich will Eilan nicht verführen und sie dann im Stich lassen! Ich möchte sie heiraten, wenn die Menschen es mir erlauben würden, die nichts anderes im Sinn zu haben scheinen, als unser beider Leben nach ihren Vorstellungen zu lenken.
Zu diesen Menschen gehörte natürlich auch sein Vater. Aber Gaius war kein zwölfjähriger Junge mehr, sondern ein zweiundzwanzigjähriger Offizier. Wie alt mußte er werden, um die Frau heiraten zu dürfen, die er haben wollte?
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