Die Wälder von Albion
Vielleicht gab sich sein Vater der Illusion hin, sein Sohn werde erst mit vierzig oder fünfzig richtig erwachsen und nicht mehr auf seine Entscheidungen angewiesen sein. Seine Gedanken liefen im Kreis wie Pferde im Hippodrom. Aber er fand keinen Ausweg. Eilan war so gut vor ihm geschützt, als wäre sie tatsächlich im Tempel der Vesta in Rom.
Als er eines Tages durch den Wald ritt, kam er an den verbrannten und verkohlten Überresten von Bendeigids Haus vorbei. Da wurde ihm plötzlich bewußt, daß er sich nicht allzuweit von Vernemeton entfernt befand. Sein Bein schmerzte in Erinnerung an die Fallgrube - wie lange schien das inzwischen her zu sein! Wieviel Zeit war vergangen, seit Eilans Gesicht über ihm am Rand der Grube wie eine rettende Göttin erschien?
Ich darf nicht hierbleiben. Jeder Baum und jeder Stein bringen mir quälende Erinnerungen.
Gaius hatte geglaubt, er werde die Erinnerungen ertragen können. Er hatte hin und wieder den alten Ardanos in Deva gesehen. Der Druide hatte seinen Seelenfrieden nicht stören können. Jetzt aber war sein inneres Gleichgewicht mehr als gefährdet. Vielleicht sollte er weiter in den Süden reiten und das Volk seiner Mutter besuchen…
Als Gaius am Abend mit Clotinus vor dem brennenden Feuer saß, sprach er von seinen Absichten. Aber Clotinus beschwor ihn, wenigstens noch ein oder zwei Tage zu bleiben.
»Jetzt vor dem Fest sind viel zu viele Leute unterwegs«, erklärte er. »Du solltest wenigstens bleiben, bis Beltane vorüber ist. Dann kannst du dich in aller Ruhe auf den Weg machen.«
»Die vielen Leute stören mich nicht«, erwiderte Gaius, »aber vielleicht sollte ich keine Uniform tragen. Ich werde schneller vorankommen und weniger Aufmerksamkeit erregen, wenn ich wie ein ganz gewöhnlicher Britone aussehe.«
»Richtig«, Clotinus verzog spöttisch die Lippen. »Gewissermaßen gehörst du ja auch zu uns… Ich werde etwas bereitlegen lassen, das du tragen kannst.«
Ein Sklave brachte Gaius am nächsten Morgen die versprochenen Sachen - eine braune Reithose, eine grüne Tunika und einen weiten dunkelbraunen Wollumhang. Alles war neu und angenehm zu tragen, wirkte aber nicht besonders auffallend oder kostbar.
»Die Nächte sind noch immer kalt, mein Freund«, sagte Clotinus. »Du wirst den Umhang brauchen, wenn es dunkel wird.«
Als Gaius die Sachen anzog, schien seine römische Identität von ihm abzufallen.
»Jetzt bist du wirklich nicht mehr Gaius Macellius Severus.« Der alte Clotinus sah Gaius seltsam an und klopfte ihm dann väterlich auf die Schulter.
»Habe ich dir nicht erzählt, daß mich meine Mutter Gawen nannte? Jetzt bin ich wieder Gawen, und vielleicht sollte ich diesen Namen auch nicht mehr ablegen.«
Clotinus freute sich über das Kompliment und verabschiedete ihn wie einen Freund, aber Gaius wußte, der Mann bedauerte, den römischen Offizier aus Deva so schnell als Gast zu verlieren.
»Vielleicht gehe ich noch auf das Fest«, sagte Gaius beim Abschied. »Wenn ich dann wirklich wie ein Britone der Göttin huldige, dann darfst du das meinem Vater aber nicht verraten!«
Als Eilan am Morgen von Beltane erwachte, hatte sie das seltsame Gefühl, Gaius sei in der Nähe.
Vielleicht denkt er an mich…
Schließlich war es das Fest, an dem sie sich ihre Liebe gestanden hatten. Kein Wunder also, daß ihre Gedanken bei ihm waren, wenn überall im Land sich die Herzen der Männer und Frauen im Einklang mit der blühenden Natur der Liebe öffneten.
Aber hier im Heiligtum von Vernemeton sollte sie nicht an solche Dinge denken - oder wenn, dann mit dem gelassenen Verständnis einer Priesterin, die über jedes körperliche Verlangen erhaben war.
Im Winter war das leicht gewesen. Die Leidenschaft, die der Merlin in ihr geweckt hatte, schien zu einem Strahlen geläutert worden zu sein, das so rein war wie die Flamme auf dem Altar. Das Gelöbnis der Keuschheit war deshalb kein großes Opfer.
Jetzt jedoch stiegen in den Bäumen die Säfte, und jede Knospe erblühte. Und Eilans alte Zweifel erwachten wieder.
Wenn sie an den Merlin dachte und an ihren glühenden Körper, wenn sie in der Nacht träumte, in den Armen des Gottes zu liegen und manchmal in den Armen von Gaius, dann sehnte sie sich nach mehr als einem tugendsamen Leben unter Frauen.
Ich bin noch unberührt, aber mein Geist ist nicht mehr unschuldig. O Göttin, wie soll ich diese süßen Qualen ertragen?
»Da bist du ja, Eilan!« Miellyns Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Da du
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