Die Wälder von Albion
das nicht ganz zu Unrecht. Julia war inzwischen so unförmig, daß sie das Gehen übermäßig anstrengte; aber sie fürchtete, durch das Rütteln eines Wagens oder das Schaukeln der Sänfte könnte ihr wieder übel werden.
Sie fand sich auch damit ab, daß der Eunuch am Tor des Tempels ihr erklärte, sie müsse warten, bis die Hohepriesterin Zeit für sie habe. Im Tempel war es kühl und dämmrig. Es tat ihr gut, nach der Sonne und dem Staub auf der Straße draußen eine Weile zu sitzen und die bemalte Statue der Göttin zu betrachten. Sie betete.
Domina Dea, ich dachte, es würde so einfach sein. Aber die Sklavinnen reden ständig von Frauen, die im Kindbett gestorben sind, wenn sie glauben, ich höre sie nicht. Davor habe ich keine Angst, o Göttin, aber was wäre, wenn mein Kind stirbt? Werde ich vielleicht wie meine Mutter nur ein Kind haben, das länger als ein Jahr am Leben bleibt? Mein Vater besitzt politische Macht, und Gaius kann in der Schlacht kämpfen, aber ich kann nur das eine… ihm einen rechtmäßigen Erben schenken.
Sie zog den Schleier über das Gesicht, damit niemand sah, wie sie weinte.
O Göttin, ich flehe dich an. Hilf mir, einen gesunden Sohn zur Welt zu bringen… bitte, o Göttin, bitte… !
Sie fuhr erschrocken zusammen, als der Eunuch sie an der Schulter berührte. Schnell trocknete sie sich die Augen und folgte ihm in die inneren Gemächer, ohne besonders auf die Rückenschmerzen zu achten, die kurz zuvor eingesetzt hatten.
Die Hohepriesterin der Juno war eine Frau in mittleren Jahren. Sie hatte Schminke aufgelegt, um jünger zu wirken. Ihre kalten Augen musterten flink Julias Schmuck und das teure Gewand, bevor sie die Bittstellerin mit überschwenglicher Herzlichkeit begrüßte. Julia wurde sofort sehr vorsichtig, denn im Haus ihres Vaters hatte sie viele Erfahrungen mit falscher Freundlichkeit gemacht.
»Du machst dir Sorgen wegen der Geburt… « Die Priesterin tätschelte ihr begütigend den Arm. »Ach, und es ist auch noch dein erstes Kind? Dann ist es ganz natürlich, daß du Angst hast… «
Julia wich ein wenig zurück und blickte die Frau mißtrauisch an. Wie konnte sie als Priesterin nicht verstehen, daß sie nicht um ihr Leben besorgt war?
»Ich wünsche mir einen Sohn… « , sagte sie vorsichtig und mußte husten, denn als die Frau sich vorbeugte, traf Julias empfindliche Nase eine süßliche Parfümwolke.
»Aber ja doch. Wenn du ihr ein Opfer darbringst, dann wird dir die Göttin helfen.«
»Was für ein Tier soll ich kaufen?«
»Nun ja… «
Die Hohepriesterin blickte auf ihre Ringe. »Opfertiere haben wir genug. Aber du weißt bestimmt, daß man unten am Fluß einen neuen großen Tempel der Isis baut. Es wäre doch eine Schande, wenn Juno im Vergleich zu ihr wie eine arme Verwandte dasteht. Die Göttin wird dir bestimmt alle deine Wünsche erfüllen, wenn du ihrem Heiligtum eine großzügige Spende machst… «
Julia erwiderte ausdruckslos den eindringlichen Blick. Sie hatte begriffen und stand mühsam auf.
»Ach ja«, sagte sie trocken. »Ich muß jetzt gehen. Vielen Dank für den guten Rat.«
Sie drehte sich um und wünschte, sie wäre groß genug für einen wirklich eindrucksvollen Abgang, und verließ den Raum, während die Hohepriesterin ihr mit offenem Mund nachsah.
Als Julia den Ausgang erreicht hatte, nahm ihr ein stechender Schmerz plötzlich den Atem.
»Herrin… !« rief Charis entsetzt und stützte sie.
»Ruf mir eine Sänfte«, flüsterte Julia und lehnte sich gegen eine Säule. »Ich glaube, ich werde mich doch nach Hause tragen lassen.«
Gaius kehrte erst am späten Abend nach Londinium zurück. Er hatte dafür gesorgt, daß der hohe Gast aus Rom die gewünschte Trophäe geschossen hatte, und verabschiedete sich erleichtert von dem Senator.
Als er nach Hause kam, herrschte eine Riesenaufregung. Julias Wehen hatten in seiner Abwesenheit eingesetzt, und sie hatte ihm vor der Zeit eine Tochter geboren.
Licinius berichtete ihm die Neuigkeit und sagte, es sei alles vor ein oder zwei Stunden vorübergewesen, und Julia schlafe jetzt.
Der alte Mann griff nach einem verstaubten Krug mit einem griechischen Siegel und sagte mit kaum unterdrückter Rührung: »Mein Junge, es ist Zeit, daß wir auf die Geburt deines ersten Kindes trinken!«
Gaius hatte den Eindruck, daß Licinius die Geburt bereits seit einer Weile auf diese Weise feierte, aber er lächelte pflichtschuldig und hörte sich alles geduldig an, was sein Schwiegervater ihm zu sagen
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