Die Wälder von Albion
damit beschäftigen müssen, was außerhalb der Wälder von Vernemeton in der Welt geschah. Sie hatte das Wirken ihres Großvaters durchschaut, und sie mußte sich nur noch entscheiden, ob sie ihn unterstützen würde oder nicht. Und wenn sie es tat, welche Grenzen sie ihm setzen mußte.
Göttin, hilf mir! Wenn DU da bist und nicht nur meine Einbildung mich blendet, dann zeige mir DEINEN Willen!
Ardanos beendete die Anrufung, und die Spannung der Menge wuchs. Der Rauch der geweihten Kräuter stieg in die Luft, und Eilan spürte das Nahen einer anderen Kraft.
Göttin, All-Mutter, ich gebe mich in DEINE Hände.
Mit einem tiefen Seufzer ließ sie es geschehen, daß ihr Bewußtsein schwand. Sie hatte das Gefühl, von weichen Armen gehalten zu werden, aber gleichzeitig sah sie, wie ihr Körper sich aufrichtete, und SIE, deren Kraft nun durch Eilan hindurchfloß, richtete den strahlenden Blick auf Ardanos.
Großvater, hüte dich! Siehst du nicht, WER jetzt zu dir spricht?
Aber er hatte der Hohenpriesterin den Rücken zugekehrt. Seine Aufmerksamkeit galt der Menge.
Göttin, habe Erbarmen! Er will auf seine Weise das Beste für sein Volk. Gib ihm die Weisheit, das Richtige zu tun - zum Nutzen von uns allen.
Auf dem Platz herrschte atemlose Stille. Nur die Flammen der Beltane-Feuer knisterten bis zu dem Erdhügel hinauf, wo Eilan saß. Sie schien plötzlich eine Antwort auf ihr Flehen zu hören.
Meine Tochter, ICH sorge für alle meine Kinder, auch wenn sie sich streiten. ICH sorge für sie zu allen Zeiten, nicht nur in eurer Gegenwart. MEIN Licht ist vielleicht eure Dunkelheit. Euer Winter aber ist der Auftakt zu MEINEM Frühling.
Kannst du begreifen, daß aus allem etwas entstehen kann, das besser ist?
Eilan fühlte sich wieder geborgen. Der Frieden innerer Sicherheit wurde ihr zuteil. Alle Sorgen und Ängste schienen von ihr genommen. Sie spürte die unendliche Fürsorge und eine Liebe, die alles überstieg, die jedes Lebewesen und alle Menschen umfaßte.
Ich vertraue DIR, aber verlaß mich nicht, denn ich habe nur DICH…
Wieder hörte sie die Stimme.
Wie könnte ICH dich verlassen… Weißt du nicht, daß ICH dich so sehr liebe wie du dein Kind?
In den ersten Monaten seiner Ehe mußte Gaius gegen das Bewußtsein ankämpfen, daß alles auf einer Lüge beruhte. Er vermutete, Julia war mehr darüber entzückt, verheiratet zu sein, als verliebt in ihn. Sie war fröhlich und zärtlich, und wenn er ihr genug Aufmerksamkeit schenkte, schien sie völlig zufrieden. Er dankte den Göttern für ihre Unschuld oder das Fehlen echter, tiefer Gefühle, denn dadurch kam Julia nicht auf den Gedanken, daß die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau sehr viel mehr sein konnte als das, was ihre Ehe war.
Licinius vertrat die Ansicht, ein junges Paar sollte im ersten Jahr der Ehe nicht getrennt werden. Deshalb hatte er dafür gesorgt, daß Gaius als Aedile in Londinium die Verantwortung für die Regierungsgebäude erhielt. Er würde auf diese Weise noch mehr Einblick in den öffentlichen Dienst erhalten, und das konnte seiner Karriere nur dienlich sein.
Gaius hatte zunächst abgewehrt, weil ihm jede Erfahrung für diese Aufgabe fehlte. Er hatte den Verdacht, Licinius habe ihm die Stelle verschafft, damit Julia auch weiterhin seinen Haushalt führen konnte. Nach kurzer Einarbeitungszeit stellte Gaius jedoch fest, daß der große Stab Sklaven und Freigelassener die eigentliche Arbeit sehr wohl verrichten konnte, aber darüber hinaus ein Mann notwendig war, der Autorität besaß und die entsprechenden Befugnisse, um alle wichtigen Entscheidungen zu fällen. Gaius hatte schon seit früher Jugend seinem Vater zugehört, der ständig über die Probleme sprach, die eine große Festung mit sich brachte, und so stellte er fest, daß er auf diese neue Aufgabe sehr gut vorbereitet war.
»Freu dich über die Zeit, die du jetzt mit Julia zusammen bist, mein Junge«, sagte Licinius und klopfte ihm auf die Schulter. »In Zukunft werdet ihr oft genug getrennt sein, und wenn du erst in Dakien bist oder wieder an der Front, dann ist es zu spät.«
Sie wußten beide, daß eine erfolgreiche Laufbahn Gaius durch das ganze römische Reich führen würde. Das Amt eines Lagerpräfekten oder eines Prokurators bildete den Abschluß der Dienstzeit.
Vor Gaius lagen die entscheidenden Jahre, in denen er sich einen Namen machen und die richtigen Verbindungen knüpfen konnte. Davon hing ab, wie weit er in der Hierarchie aufsteigen würde.
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