Die Wälder von Albion
Hast du nicht von der Schlacht am Mons Graupius, wie die Römer sie nennen, gehört? Weißt du, daß das Land der Votadiner zu einer menschenleeren Wildnis geworden ist, wo ein paar wenige, die dem Blutbad entkommen sind, ums nackte Überleben kämpfen? Die Votadiner waren einmal ein großer und wohlhabender Stamm mit reichen Siedlungen, mit Viehherden und Sippen, die unsere Göttin verehrten… «
Eilan senkte den Kopf, um seinem Blick auszuweichen. O ja, sie hatte von der Schlacht gehört - sogar von einem, der dort gekämpft hatte.
Von Gaius wußte sie, daß in jenem Winter die Hungernden zu den Toren der Festung gekommen waren und um etwas zu essen gebettelt hatten. Es stimmte, die Römer waren Eindringlinge, aber Eilan wußte auch, daß die besiegten Krieger in ihrer Verzweiflung die eigenen Häuser angezündet, Frauen und Kinder getötet und die Tiere geschlachtet hatten, damit nichts in die Hände der Feinde fiel.
»Du bist die Stimme der Göttin, sage mir… Die Tränen der in Gefangenschaft geratenen Frauen fallen wie Regen auf die Erde, und das Blut unserer erschlagenen Krieger schreit zum Himmel… warum hört SIE die Klagen IHRER Kinder nicht? Warum hat die Göttin nicht unsere Gebete erhört? Warum rät uns das Orakel noch immer, diesen elenden Frieden zu halten?«
Er stand auf, streckte die Hände nach ihr aus, und Huw trat mit finsterer Mine vor und bedeutete Bendeigid, sich wieder zu setzen.
Eilan holte tief Luft, um ihr Staunen zu verbergen, und gab Huw ein Zeichen, sich zurückzuziehen.
Sie hatte immer geglaubt, ihr Vater berate sich ständig mit dem höchsten Druiden. War es möglich, daß Bendeigid nicht ahnte, wie Ardanos in den vergangen Jahren das Orakel manipuliert hatte?
»Mein Vater weiß bestimmt, daß ich nur die Orakelsprüche spreche, die ich sagen muß «, erwiderte sie leise.
Wenn er etwas weiß, dann habe ich ihm die Wahrheit gesagt… und wenn nicht, dann habe ich ihm nicht mehr gesagt, als er ohnehin weiß.
Aber sie hatte die Wahrheit sehr genau in Worte gefaßt, besser als selbst Ardanos ahnte. Der höchste Druide übersetzte ihre Antworten auf Fragen, so wie er es für angemessen hielt, doch wenn die Göttin von der Hohenpriesterin Besitz ergriffen hatte und SIE unmittelbar zu dem Volk sprach, war es die Göttin, die nach ihrem Gutdünken mit der Politik des höchsten Druiden einverstanden war oder nicht. Eilan hatte daran keinen Anteil, und Ardanos konnte SIE nicht beeinflussen, denn die Göttin stand über den Zeiten und den kurzsichtigen politischen Überlegungen, denen sich Ardanos in Mißbrauch seines Amtes verschrieben hatte. Noch klang IHR Rat friedfertig genug, so daß der gerissene Diplomat nichts dagegen einzuwenden hatte…
Bendeigid stand wieder auf und ging unruhig im Raum auf und ab. Schließlich sagte er: »Hör mich an, du bist die Hohepriesterin, die wir ehren und der wir vertrauen. Ich flehe dich an, bitte die Göttin, uns zu rächen. Wir haben geschworen, das blutige Opfer der Frauen von Mona nicht zu vergessen. Der Frevel ist bis heute nicht gesühnt, und ihre Seelen rufen nach Rache.«
Eilan runzelte die Stirn.
»Hat Cynric dich zu mir geschickt?«
Eilan wußte, daß Gaius ihrem Ziehbruder das Leben gerettet, ihn als Geisel gefangengenommen und seine Freilassung durchgesetzt hatte. Aber sie wußte nicht, was aus Cynric danach geworden war.
»Cynric hat beim Truppenabzug die Römer überfallen. Er wurde überwältigt, und sie wollten ihn in Ketten nach Rom schleppen, aber er hat seine Wächter getötet und ist geflohen.«
»Wo ist er jetzt?« fragte Eilan erschrocken.
Wenn die Römer ihn noch einmal zu fassen bekamen, dann wäre ein schneller Tod das beste, was er von seinen Feinden erwarten konnte.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Druide ausweichend, »aber im Norden wächst der Zorn und der Widerstand, meine Tochter. Die Römer geben ihre Stellungen dort auf. Nicht alle Raben sind damals in der Schlacht gefallen, und ihre Wunden sind inzwischen verheilt. Wenn die Göttin das Land nicht zum Widerstand gegen die Römer aufruft, dann kannst du sicher sein, daß Cynric es tun wird.«
»Aber ich spreche nur zu denen, die sich an den Festen versammeln«, sagte Eilan nachdenklich. »Das sind in der Hauptsache die Cornovier, Teile der Dobuner und Silurer und manchmal auch wildere Bewohner der Berge. Aber was haben wir mit den Caledoniern zu tun?«
»Könnte es sein, daß dir dein Einfluß nicht bewußt ist?«
Er sah sie durchdringend
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