Die Wälder von Albion
»Ich dachte, du seist im Norden… «
Sie blieb wie angewurzelt stehen, denn er hielt ein zwei-oder dreijähriges Mädchen im Arm, und ein vielleicht fünfjähriges Mädchen blickte ängstlich hinter seinem Umhang hervor.
»Sind das deine Kinder?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie gehören einer unglücklichen Frau. Deshalb bin ich gekommen. Im Namen der Göttin bitte ich dich, ihnen hier Schutz zu gewähren.«
»Schutz… ?« wiederholte Eilan, »aber warum?«
»Weil sie Schutz brauchen!« antwortete Cynric, als sei das die natürlichste Sache der Welt.
»Ich meine, weshalb sollten sie hier Schutz finden? Haben sie keine Verwandten, die sie aufnehmen können? Und wenn es nicht deine Kinder sind, wieso hast du die Verantwortung für sie übernommen?«
»Ihre Mutter ist Brigitta, die Königin der Demeten«, erwiderte Cynric unwillig, »Brigitta hat versucht, die Macht in ihrem Reich zu übernehmen, nachdem ihr Mann gestorben war, und nun ist sie eine Gefangene der Römer. Wir fürchten, daß ihre Töchter als Geiseln gehalten werden oder daß ihnen ein noch schlimmeres Schicksal bevorsteht, wenn sie in die Hände der Römer fallen.«
Eilan sah die Kinder an und dachte an ihren Sohn. Sie bedauerte die Mutter aus ganzem Herzen. Aber was würde Ardanos dazu sagen? Jetzt hätte sie Cailleans Rat gebrauchen können. Aber sie war im Sommerland, um die heilige Quelle aufzusuchen.
»Cynric, du weißt sehr wohl, daß sie zu jung sind, um als Novizinnen hier aufgenommen zu werden… «
»Ich bitte dich nur, für sie zu sorgen und ihnen Sicherheit zu gewähren!« erwiderte Cynric.
In diesem Augenblick hörten sie, wie sich jemand dem Haus der Hohenpriesterin näherte.
»Du kannst Eilan jetzt nicht sehen«, sagte die diensthabende Priesterin. »Sie hat Besuch.«
»Das ist ein Grund mehr, bei ihr zu sein!« hörten sie Dieda antworten, die kurz darauf im Garten erschien. Als sie Cynric sah, stieß sie einen leisen Schrei aus und lief zu ihm.
»Es sind nicht meine Kinder!« murmelte er, als sie beim Anblick der Mädchen blaß wurde. »Die Königin Brigitta schickt sie hierher, damit sie im Heiligtum Schutz finden.«
»Dann sollten wir sie zu den Novizinnen bringen… «, sagte Dieda und streckte die Hände nach den Kindern aus. Aber ihre Augen waren unverwandt auf Cynric gerichtet.
»Wartet!« sagte Eilan. »Die Sache muß gut überlegt sein. Vernemeton kann es sich nicht leisten, in politische Angelegenheiten verwickelt zu werden.«
»Du meinst, wir brauchen die Zustimmung der Römer?« rief Cynric verächtlich.
»Du hast gut reden«, erwiderte Eilan, »vergiß nicht, daß wir von der Gunst jener Römer abhängig sind, auf die du so leichthin verzichtest. Ich bin der Meinung, wir sollten uns mit dem höchsten Druiden beraten, bevor wir uns auf etwas einlassen, das uns als Unterstützung einer Rebellion ausgelegt werden kann.«
»Du willst Ardanos fragen?« Cynric spuckte auf die Erde. »Warum gehst du nicht gleich zum Legaten in Deva? Vielleicht sollten wir den Statthalter von Britannien fragen… «
»Cynric, ich habe um deinetwillen und für deine Sache bereits sehr viel riskiert«, erwiderte Eilan kühl, »aber ich kann es nicht wagen, ohne Zustimmung von Ardanos politische Flüchtlinge hier aufzunehmen.«
Eilan schickte die diensthabende Priesterin mit einer Nachricht zu dem Haus, das sich der höchste Druide im Gelände des Heiligtums hatte errichten lassen.
Cynric sagte: »Eilan, weißt du, welches Schicksal diese Mädchen erwartet, wenn du sie nicht bei euch aufnimmst?«
»Weißt du es… ?« Eilan sah Cynric kopfschüttelnd an. »Warum bist du so sicher, daß Ardanos es ablehnen wird, sie aufzunehmen. Wir sollten ihn wenigstens um Rat fragen… «
»Um welchen Rat?«
Sie fuhren erschrocken zusammen und drehten sich verwirrt um.
Ardanos kam den Gartenweg entlang. »Deine Priesterin hat mich vor dem Tor getroffen. Also, worum geht es hier?«
Eilan deutete auf die Mädchen und erklärte ihm Cynrics Wunsch.
»Ich kann für Brigitta nichts tun«, sagte Ardanos schließlich. »Man hat sie gewarnt und ihr gesagt, was geschehen werde, falls sie Anspruch auf die Herrschaft erheben sollte. Aber ich kann euch versichern, man wird sie mit Achtung behandeln… Selbst die Römer werden in einem Jahrhundert nicht zweimal denselben Fehler begehen.« Er schwieg und betrachtete die Kinder. »Und diese Mädchen… ich weiß keinen Rat. Später könnte es Schwierigkeiten mit ihnen geben… «
»Aber nicht jetzt!«
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