Die Waffen nieder!
erblickend, in ihrer Verstümmelung sich ein letztes Mal emporbäumen: vorüber, vorüber!
* * *
Das geht in den roten Heften noch seitenlang so fort. Was der Regimentsarzt von dem Gang einer Sanitätspatrouille über das Schlachtfeld erzählte, das enthält noch viele ähnliche und ärgere Dinge. So die Schilderung jener Augenblicke, da mitten in die Pflegearbeit Kugeln und Granaten fallen, neue Wunden reißend; oder wenn die Zufälligkeiten der Schlacht den Kampf und die Verbandplätze selber knapp an die Ambulancen bringen und das ganze Sanitätspersonal, samt den Ärzten und samt den Kranken, mitten in das Gewühl der ringenden oder fliehenden oder verfolgenden Truppen gerät: wenn scheue, ledige Rosse des Weges gerast kommen und die Tragbahre umstürzen, auf welche man eben einen Schwerverwundeten gebettet, der jetzt zerschmettert zu Boden geschleudert wird ... Oder dieses – das grauenhafteste Bild von allen –: Ein Gehöft, in welchem man hundert Verwundete untergebracht, verbunden und gelabt hat. – Die armen Teufel froh und dankbar, daß ihnen Rettung geworden – und eine Granate, die das Ganze in Brand schießt – eine Minute und das Lazarett steht in Flammen – das Schreien, vielmehr das Geheul, welches aus dieser Stätte der Verzweiflung gellt und welches in seinem wilden Weh alles übrige Getöse übertönt, das wird wohl jenen, die es hörten, ewig unvergeßlich bleiben ... Weh mir! Auch mir, obgleich ich es nicht gehört, bleibt es unvergeßlich – denn während der Regimentsarzt erzählte, war mir wieder, als wäre mein Friedrich dabei, als hörte ich seinen Schrei aus dem brennenden Marterorte heraus ...
»Ihnen wird übel, gnädige Frau,« unterbrach sich der Erzähler – »ich habe da Ihren Nerven wirklich zu viel zugemutet.« –
Aber ich hatte noch nicht genug. Ich versicherte, daß meine vorübergehende Schwäche nur die Folge der Hitze und einer schlechten Nacht sei und wurde nicht müde, den anderen auszuforschen. Es war mir immer noch, als hätte ich nicht genug gehört, als wären von diesen geschilderten Höllenkreisen die letzten und höllischsten noch nicht geschildert worden. Und wenn einmal der Durst nach Gräßlichem erregt ist, so ruht man nicht, bis er nicht mit dem Gräßlichsten gelöscht worden. Und richtig: es gibt noch Schauerlicheres als ein Schlachtfeld während – das ist ein solches nach der Schlacht.
Kein Geschützdonner, kein Fanfarengeschmetter, kein Trommelwirbel mehr, nur leises, schmerzliches Stöhnen und Sterberöcheln. Im zertretenen Erdboden rötlich schimmernde Pfützen, Blutlachen; – alle Feldfrucht zerstört, nur hier und da ein unberührt gebliebenes halmenbedecktes Ackerstück: die sonst lachenden Dörfer und Trümmer in Schutt verwandelt. Die Bäume der Wälder verkohlt und geknickt; die Hecken von Kartätschen zerrissen .... Und auf dieser Wahlstatt Tausende und Tausende von Toten und Sterbenden – hilflos Sterbenden! Keine Blüten noch Blumen sind auf den Wegen und Wiesen zu sehen, sondern Säbel, Bajonette, Tornister, Mäntel, umgestürzte Munitionswagen, in die Luft geflogene Pulverkarren, Geschütze mit gebrochenen Lafetten .... Neben den Kanonen, deren Schlünde von Rauch geschwärzt sind, ist der Boden am blutigsten; dort liegen die meisten und verstümmeltsten Toten und Halbtoten – von Kugeln buchstäblich zerrissen. Und die toten und halbtoten Pferde – solche, die auf den Füßen, welche ihnen geblieben sind, sich aufrichten, um wieder hinzusinken, wieder sich aufstellen und wieder hinfallen, bis sie die Köpfe heben, um ihren schmerzbeladenen Sterberuf hinauszuschreien .... Ein Hohlweg ist mit in den Kot der Straße getretenen Körpern ganz angefüllt. Die Unglücklichen hatten sich wohl hierher geflüchtet, um geborgen zu sein – aber eine Batterie ist über sie hinweggefahren – von Pferdehufen und Rädern sind sie zermalmt .... Viele darunter leben noch – eine breiige, blutige Masse, aber »leben noch«.
Und noch gibt es Höllischeres als alles dies: Es ist das Erscheinen des niederträchtigsten Abschaums der kriegführenden Menschheit – der Schlachtfeld-Hyäne . »Das schleicht herbei, das die Leichenbeute witternde Ungetüm, beugt sich über Tote und noch Lebende herab und reißt ihnen die Kleider vom Leibe. Erbarmungslos. Die Stiefeln werden vom blutenden Bein, die Ringe von der verwundeten Hand gezogen – oder um den Ring zu haben, wird der Finger einfach abgeschnitten; und wenn sich das Opfer wehren will, dann
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