Die Waffen nieder!
auf dem Schlachtfeld selber ist mit dem zweiten Sonnenuntergang die Tragödie noch lange nicht abgespielt. Außer denjenigen, welche in die Lazarette und in die Gräber untergebracht worden, gibt es noch die Ungefundenen . Hinter dichtem Gebüsch, in hohen Ährenfeldern, oder zwischen Bautrümmern verborgen, sind sie den Blicken der Krankenträger und Totengräber entgangen. Für jene Unglücklichen beginnt nun das Martyrium einer mehrere Tage und mehrere Nächte langen Agonie: In der sengenden Hitze des Mittags, in den schwarzen Schauern der Mitternacht, gebettet auf Steinen und Disteln, im scharfen Verwesungsgeruch der naheliegenden Leichen und der eigenen faulenden Wunden, den festenden Geiern zur noch zuckenden Beute ...«
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Das war eine Reise! – Der Regimentsarzt hatte schon lange aufgehört zu sprechen, aber die Auftritte, welche er geschildert, fuhren unausgesetzt fort, vor meinem inneren Auge sich abzuspielen. Um diesem mich verfolgenden Gedankenreigen zu entgehen, schaute ich zum Wagenfenster hinaus und versuchte, im Anblick der Landschaft Zerstreuung zu finden. Aber auch hier boten sich dem Blicke Bilder des Kriegsjammers. Zwar hatte in dieser Gegend keine gewaltsame Verwüstung stattgefunden: Es rauchte da kein zerschossenes Dorf, hier hatte »der Feind« noch nicht gehaust; aber was hier nun wütete, ist vielleicht noch schlimmer: Nämlich die Furcht vor dem Feinde . »Die Preußen kommen! die Preußen kommen!« war die Schreckenslosung auf der ganzen Strecke; und wenn auch im Vorbeifahren diese Worte nicht zu hören waren, ihre Wirkung konnte man vom Wagenfenster aus deutlich erschauen. Überall auf allen Straßen und Wegen fliehende, mit Sack und Pack ihr Heim verlassende Menschen. Ganze Wagenzüge bewegten sich landeinwärts – gefüllt mit Bettzeug, Hausgerät und Vorräten. Alles sichtlich in größter Eile aufgeladen. Auf demselben Karren kleine Schweine, das jüngste Kind und ein paar Kartoffelsäcke, nebenher, zu Fuß, Mann und Weib und die größeren Kinder: – So sah ich eine auswandernde Familie auf einer nahen Straße sich fortbewegen. Wohin gingen die Armen? Das wußten sie wohl selber kaum – nur fort, fort von den »Preußen«. So flieht man das prasselnde Feuer oder die steigende Flut.
Öfters brauste auf den Nebengeleisen ein Zug an uns vorüber: – Verwundete, immer wieder Verwundete; immer wieder die aschfahlen Gesichter, die verbundenen Köpfe, die in der Binde getragenen Arme. Auf den Haltestellen besonders konnte man an diesem Anblick in allen Varianten sich sattsam erlaben. Sämtliche große und kleine Perrons, auf welchen man sonst das wartende Völklein der Reisenden fröhlich umherstehen und -gehen sieht, waren jetzt mit liegenden und kauernden Gestalten gefüllt. Das sind die aus den umgebenden Feld- und Privatlazaretten herbeigeschafften kranken Soldaten, die den nächsten Eisenbahnzug abwarten, der einen neuen Verwundetentransport befördern kann. So müssen sie stundenlang liegen – und wer weiß, wieviel Transportierungen sie schon hinter sich haben? Vom Kampffeld zum Verbandplatz, von da zur Ambulance, von dieser in ein fliegendes Feldhospital, dann in die Ortschaft – jetzt zur Eisenbahn; und von hier steht ihnen noch die Fahrt nach Wien bevor; dort vom Bahnhof zum Spital und von da, nach so langen Leiden, vielleicht zum Regiment zurück, vielleicht zum Friedhof ... Mir ward so leid, so leid, so schrecklich leid um die armen Teufel! – ich hätte zu jedem einzelnen hinknien wollen und ihm Worte des Mitgefühls zuflüstern. Aber der Doktor ließ mich nicht. Wenn wir an einer Station ausstiegen, nahm er mich am Arm und führte mich in das Bureau des Stationschefs. Hierher brachte er mir Wein oder sonst eine Erfrischung.
Die Schwestern walteten auch schon hier ihres barmherzigen Amtes. Sie reichten den Verwundeten an Trank und Speise, was nur aufzutreiben war: Aber öfters gab es nichts, die Vorräte in den Restaurationen waren zumeist erschöpft. Dieses Getriebe auf den Bahnhöfen, namentlich auf den größeren, machte mir einen sinnverwirrenden Eindruck; es schien mir wie »ein böser Traum«. Dieses Hin- und Herrennen, dieses wüste Durcheinander – abmarschbereite Truppen – Flüchtlinge – Krankenträger – Haufen blutender und wimmernder Soldaten – schluchzende, händeringende Frauen –; Geschrei, barsche Kommandorufe – überall Gedränge, nirgends ein freier Durchgang – aufgeschichtetes Gepäck, Kriegsmaterial, Kanonen, abseits Pferde und
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