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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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eine Ladung Verwundeter nach der anderen brachte, offen bleiben mußte. Passagierzüge gingen heute überhaupt keine mehr ab. Nur einer mit nachgeschickten Reservetruppen, und ein anderer zur ausschließlichen Benutzung des patriotischen Hilfsvereins, der mehrere Ärzte und barmherzige Schwestern und eine Ladung nötigen Materials nach der Umgebung von Königgrätz abführen sollte.
    »Und da könnte ich nicht mitfahren?«
    »Unmöglich!«
    Immer deutlicher und flehender vernahm ich Friedrichs Hilferuf – und nicht kommen können: Es war zum Verzweifeln!
    Da erblickte ich am Eingang der Halle Baron S., den Vizevorsteher des patriotischen Hilfsvereins, denselben den ich schon vom Kriegsjahre 59 her kannte. Ich eilte auf ihn zu:
    »Um Gottes willen, Baron S., helfen Sie mir! Sie erkennen mich doch?«
    »Baronin Tilling, Tochter des General Grafen Althaus – gewiß habe ich die Ehre ... Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Sie expedieren einen Zug nach Böhmen ... lassen Sie mich mitfahren! Mein sterbender Mann verlangt nach mir ... Wenn Sie ein Herz haben – und Sie beweisen ja durch Ihre Tätigkeit, wie schön und edel Ihr Herz ist – so schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab!«
    Es gab noch allerlei Zweifel und Bedenken, aber schließlich wurde meinem Wunsche willfahrt. Baron S. rief einen der vom Hilfsverein entsendeten Ärzte herbei und empfahl mich, als Mitreisende, seinem Schutz.
    Bis zur Abfahrt war noch eine Stunde. Ich wollte den Wartesaal aufsuchen, aber jeder verfügbare Raum war in ein Hospital verwandelt. Wo man hinblickte, überall kauernde, liegende, verbundene, bleiche Gestalten. Ich mochte nicht hinschauen. Das bißchen Energie, das ich besaß, das mußte ich mir auf meine Fahrt und auf deren Ziel aufsparen. Von aller Kraft, allem Mitgefühl, aller Hilfsleistungsfähigkeit, die mir zu Gebote stand, durfte ich hier nichts aufgeben; das gehörte nur ihm – ihm, der mich rief.
    Es war indes kein Winkel zu finden, wo mir der Jammeranblick erspart geblieben wäre. Ich hatte mich auf den Perron geflüchtet, und dort mußte ich gerade das ärgste mit ansehen: Die Ankunft eines langen Zuges, dessen sämtliche Waggons mit Verwundeten gefüllt waren, und die Abladung der letzteren. Die leichter Blessierten stiegen selber aus und schleppten sich vorwärts, die meisten mußten aber unterstützt, oder gar getragen werden. Die verfügbaren Tragbahren waren gleich besetzt, und die überzähligen Patienten mußten bis zur Rückkunft der Träger einstweilen auf den Boden gelagert werden. Vor meine Füße, auf dem Platze, wo ich auf einer Kiste saß, legten sie einen hin, der unausgesetzt ein gurgelndes Röcheln ausstieß. Ich beugte mich herab, um ihm ein teilnehmendes Wort zu sagen, aber entsetzt fuhr ich wieder zurück und verbarg mein Gesicht in beide Hände – der Eindruck war zu fürchterlich gewesen. Das war kein menschliches Angesicht mehr – der Unterkiefer weggeschossen, ein Auge herausquellend ... dazu ein erstickender Qualm von Blut- und Unratgeruch .... Ich hätte aufspringen und fliehen mögen, doch ward mir totenübel und mein Kopf fiel an die hinter mir liegende Mauer zurück. »O, ich feiges kraftloses Geschöpf« – schalt ich mich – »was suche ich hier in diesen Jammerstätten, wo ich nichts – nichts helfen kann ... wo ich solchem Ekel unterliege« ... Nur der Gedanke an Friedrich raffte mich wieder empor. Ja, für ihn, auch wenn er in solchem Zustande wäre, wie der Elende zu meinen Füßen, könnte ich alles ertragen – ich würde ihn noch umfangen und küssen, und aller Ekel, alles Grauen versänke in das eine allbesiegende Gefühl – in Liebe – »Friedrich – mein Friedrich, ich komme!« wiederholte ich halblaut diesen einen fixen Gedanken, der mich seit der Ankunft des Bresserschen Briefes erfaßt und nicht mehr losgelassen hatte.
    Eine furchtbare Idee durchflog mein Hirn: Wie, wenn dieser – Friedrich wäre? Ich sammelte meine Kräfte und blickte noch einmal hin: Nein, er war es nicht.
    * * *
    Die bange Wartestunde war doch auch vorübergegangen. Den Röchelnden hatten sie fortgetragen. »Legt ihn dort auf die Bank,« hörte ich den Regimentsarzt befehlen, »den da kann man nicht mehr ins Spital bringen – er ist schon dreiviertel tot.« Und doch – diese Worte mußte er noch verstanden haben, der Dreiviertel-Tote, denn mit einer verzweiflungsvollen Gebärde hob er beide Arme zum Himmel.
    Jetzt saß ich im Waggon mit den beiden Ärzten und vier barmherzigen Schwestern. Es war

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