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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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erstickend heiß und der Raum war mit einem Duft von Hospital und Sakristei – Karbol und Weihrauch – erfüllt. Mir war unsäglich übel. Ich lehnte mich in eine Ecke zurück und schloß die Augen.
    Der Zug setzte sich in Bewegung. Das ist so der Augenblick, wo jeder Reisende sich das Ziel vergegenwärtigt, dem er entgegengetragen wird. Öfters schon war ich auf dieser Strecke gefahren, und da winkte mir die Ankunft in einem gästegefüllten Schlosse, in einem fröhlichen Badeorte – auch meine Hochzeitsreise – seliges Andenken – hatte ich auf diesem Wege gemacht, einem glänzenden und liebevollen Empfang in der Hauptstadt »Preußens« (wie hatte letzteres Wort doch seither einen anderen Klang bekommen!) entgegen. – – Und heute? Was war heute unser Ziel? Ein Schlachtfeld und umliegende Lazarette – die Stätten des Todes und der Leiden. Mir schauderte.
    »Gnädige Frau,« sagte einer der Ärzte – »ich glaube, Sie sind selber krank .... Sie sehen so bleich und leidend aus.«
    Ich blickte auf. Der Sprecher war eine sympatische, jugendliche Erscheinung. Vermutlich war dies die erste praktische Tätigkeit des kaum promovierten Mediziners. Schön von ihm, daß er seine ersten Dienste diesem gefahr- und beschwerdevollen Amte widmete! Ich fühlte mich diesen Menschen, die da neben mir im Waggon saßen, dankbar für die Linderung, welche sie den Leidenden zu bringen im Begriffe standen. Auch den opfermutigen, wirklich »barmherzigen« Schwestern zollte ich im Herzen Bewunderung und Dank. Doch was brachte jeder dieser guten Menschen mit? Ein Lot Hilfe für tausend Zentner Not. Die tapferen Nonnen mußten wohl für alle Menschen jene überwindungskräftige Liebe im Herzen tragen, wie sie mich für meinen Mann erfüllte; so, wie ich sie vorhin empfunden, daß, wenn der furchtbar entstellte und ekelerregende Soldat, der vor meinen Füßen röchelte, mein Gatte gewesen, aller Widerwille entschwunden wäre – so empfanden jene wohl jedem Menschenbruder gegenüber, und zwar durch die Kraft einer höheren Liebe – diejenige zu ihrem erwählten Bräutigam Christus. Aber ach – auch davon brachten die Edeln nur ein Lot! Ein Lot Liebe dorthin wo tausend Zentner Haß gewütet ....
    »Nein, Herr Doktor,« antwortete ich auf die teilnehmende Anfrage des jungen Arztes, »ich bin nicht krank, nur ein wenig angegriffen.«
    »Ihr Herr Gemahl, so sagte mir Baron S., sei bei Königsgrätz verwundet worden und Sie reisen dahin, ihn zu pflegen,« mischte sich der Stabsarzt in das Gespräch; »wissen Sie, in welcher der umgebenden Ortschaften er liegt?«
    Das wußte ich nicht. »Mein Ziel ist Königinhof,« antwortete ich, »dort erwartet mich mein befreundeter Arzt, Doktor Bresser –«
    »Den kenne ich ... er war an meiner Seite, als wir vor drei Tagen das Schlachtfeld absuchten.«
    »Das Schlachtfeld absuchten« ... wiederholte ich schaudernd – »erzählen Sie –«
    »Ja, ja, Herr Doktor, erzählen Sie!« bat eine der Nonnen, »unser Dienst kann uns auch in die Lage bringen, bei solchem Suchen mitzuhelfen.«
    Und der Regimentsarzt erzählte. Den Wortlaut seiner Schilderungen kann ich natürlich nicht mehr wiedergeben; auch sprach er nicht in einem Flusse, sondern mit häufigen Unterbrechungen, und gleichsam widerstrebend, nur durch die hartnäckigen Fragen, mit welchen die wißbegierigen Nonnen und ich ihn bestürmten, zum Sprechen gezwungen. Die abgerissenen Erzählungen riefen jedoch eine geschlossene Reihe von Bildern vor mein inneres Auge, die sich dem Gedächtnis so lebhaft eingeprägt haben, daß ich dieselben noch heute an mir vorüberziehen lassen kann. Unter anderen Umständen hätte ich des Doktors Schilderungen nicht so deutlich erfaßt und behalten – man vergißt ja Gehörtes und Gelesenes so leicht – aber das Erzählte machte mir damals fast den Eindruck von Miterlebtem. Ich war in einem Zustand hochgradiger Nervenanspannung und Erregtheit; der fixe Gedanke an Friedrich, der sich meiner bemächtigt hatte, bewirkte, daß ich bei jeder der geschilderten Szenen mir Friedrich als beteiligte Person vorstellte, und so sind sie mir wie selber durchgemachte schmerzliche Erfahrungen im Geiste haften geblieben. In der Folge habe ich die von dem Regimentsarzt mitgeteilten Ereignisse in die roten Hefte eingetragen – so, als hätten sie sich vor meinen eigenen Augen abgespielt.
    * * *
    Die Ambulance ist hinter einem schützenden Hügelrücken aufgerichtet worden. Drüben tobt die Schlacht. Der Boden zittert, und es

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