Die Waffen nieder!
brüllendes Hornvieh – dazwischen das unausgesetzte Geläute des Telegraphen – durchfahrende Züge, welche mit aus Wien anlangender Reserve vollgefüllt – vielmehr vollgepfropft – sind ... Nicht anders waren diese Soldaten in den Wagen dritter und vierter Klasse – ja in Last- und Viehwaggons – untergebracht, nicht anders wie Schlachtvieh. Und im Grunde genommen, ich konnte den Gedanken nicht unterdrücken, was waren sie denn anderes? Wurden sie nicht auch zur »Schlacht« – wurden sie nicht auf den großen politischen Markt geschleppt, wo mit Kanonenfutter – chair á canon – geschachert wird? Da rollten sie vorbei. Tolles Gebrüll – war es ein Kriegslied? – schallte heraus und übertönte das rasselnde Gepolter der Räder; eine Minute – und der Zug war verschwunden. Mit Windeseile trug er einen Teil seiner Fracht dem sicheren Tode entgegen. Ja – sicherem Tode ... Wenn auch kein einzelner von sich sagen kann, daß er sicher fällt, ein gewisser Prozentsatz von der Gesamtheit muß und wird fallen. Zu Felde ziehende Heere, die sich auf der Heerstraße zu Fuß oder zu Roß fortbewegen: das mag noch eine gewisse antike Poesie an sich haben; aber der moderne Schienenweg, das Symbol der nationenverbindenden Kultur, als Beförderungsmittel der losgelassenen Barbarei: – das ist gar zu widersinnig und abscheulich. Wie falsch klingt da auch das Telegraphengeklingel ... dieses herrliche Siegeszeichen des menschlichen Intellekts, der es fertig gebracht hat, den Gedanken mit Blitzesschnelle von einem Lande zum anderen zu leiten; alle diese neuzeitlichen Erfindungen, welche bestimmt sind, den Verkehr der Völker zu fördern, das Leben zu erleichtern, zu verschönern, zu bereichern: Die werden jetzt von jenem altweltlichen Prinzip mißbraucht, welches die Völker entzweien und das Leben vernichten will. »Seht unsere Eisenbahnen, seht unsere Telegraphen – wir sind zivilisierte Nationen«, prahlen wir den Wilden gegenüber und benutzen diese Dinge zur verhundertfachten Entfaltung unserer Wildheit ...
Daß mich lauter solche Gedanken quälen mußten, während ich an den Stationen auf das Weiterfahren unseres Zuges wartete – das vertiefte und verbitterte noch mein Leid. Ich beneidete fast jene, die da nur in naivem Schmerze die Hände rangen und weinten, die sich nicht im Zorn aufbäumten gegen die ganze Schauerkomödie – die niemanden anklagten, nicht einmal jenen »Herrn der Heerscharen«, von dem sie doch glaubten, daß er es sei, der das hereingebrochene Unglück über sie verhängt ...
Es war spät abends, als ich in Königinhof anlangte. Meine Reisegefährten hatten an einer früheren Station bleiben müssen. Ich war allein – in Furcht und Bangen. Wie, wenn Doktor Bresser verhindert worden wäre, zu kommen? Was sollte ich dann hier beginnen? Zudem war ich von der Fahrt wie gerädert, von den durchgemachten Trauer- und Schauerempfindungen ganz entnervt. Wäre nicht die Sehnsucht nach Friedrich gewesen, so hätte ich mir nur noch den Tod gewünscht. Sich hinlegen können und einschlafen und nie wieder erwachen in einer Welt, in der es so grausam und wahnsinnig zugeht! ... Nur eins nicht: am Leben bleiben und Friedrich unter den Vermißten wissen!
Der Zug hielt. Mühsam und zitternd stieg ich aus und nahm mir mein Handgepäck herab. Ich führte mein Handköfferchen bei mir, mit etwas Wäsche für mich und Charpie und Verbandzeug für den Verwundeten; außerdem eine Reise-Toilettentasche. Die hatte ich so gewohnheitsmäßig mitgenommen, in dem anerzogenen Glauben, daß man gar nicht sein könne, ohne die silbernen Büchsen und Kapseln, die Seifen und Wasser, die Bürsten und Kämme. Reinlichkeit – diese Tugend des Körpers, dasselbe, was Ehrlichkeit für die Seele – diese zweite Natur des Kulturmenschen: wie mußte ich jetzt erst erfahren, daß darauf in solchen Zeiten ganz verzichtet werden muß. Nun ja,– es ist ja nur folgerichtig: der Krieg ist die Verneinung der Kultur, also müssen durch ihn alle Errungenschaften der Kultur wegfallen; ein Rückschlag in die Wildheit ist er, also muß er alles Wilde im Gefolge haben – darunter auch jenes, den Edelmenschen so furchtbar verhaßte Ding: den Schmutz .
Die Kiste mit Material für die Spitäler, die ich in Wien für Doktor Bresser besorgt hatte, war mit den anderen Kisten des Hilfskomitees aufgegeben worden – wer weiß, wann und wo dieselbe abgeliefert wurde? Ich hatte nichts bei mir als meine zwei Stück Handgepäck und ein
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