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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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umgehängtes Geldtäschchen, welches mit einigen Hundertgulden-Noten gefüllt war. Schwankenden Schrittes ging ich über die Schienen nach dem Perron. Dort herrschte, trotz der späten Stunde, dasselbe Gewühle wie auf den anderen Stationen, und immer dasselbe Bild: Verwundete – Verwundete. Nein, nicht dasselbe Bild: ärger noch. Königinhof war ein Ort, der mit diesen Unglücklichen überfüllt war; es gab im ganzen Ort keinen unbelegten Raum, und nun hatte man die Kranken scharenweise zur Eisenbahn gebracht, wo sie, ganz notdürftig verbunden, überall umherlagen, auf der Erde, auf den Steinen ....
    Es war eine finstere, mondlose Nacht; der Schauplatz war nur durch drei oder vier an Pfählen befindliche Laternen beleuchtet. Erschöpft und schlaf-, beinahe todesschlafbedürftig, sank ich auf die freie Ecke einer Bank und legte mein Gepäck vor mir auf den Boden.
    Ich hatte vorerst nicht den Mut, mich umzusehen, ob unter den vielen Menschen, die hier geschäftig hin und her schossen, auch Doktor Bresser sei. Fast war ich überzeugt, daß ich ihn nicht finden würde. Es gab ja zehn Chancen gegen eine, daß er verhindert worden zu kommen, oder daß er zu einer anderen als zur bezeichneten Stunde hier einträfe; einen regelmäßigen Verkehr gab es ja überhaupt nicht mehr: mein Zug war gewiß viel später eingetroffen, als in der Fahrordnung verzeichnet stand. Ordnung: auch ein Kulturbegriff – mit dem war ja ringsum gleichfalls gebrochen .... Mein Unternehmen erschien mir jetzt als ein wahnwitziges. Dieses vermeintliche Rufen Friedrichs – glaubte ich denn sonst an derlei mystische Dinge? – es entbehrte sicher aller Begründung. Wer weiß – vielleicht war Friedrich auf dem Weg nach Hause – vielleicht auch tot – warum suchte ich ihn hier? Eine andere Stimme begann jetzt nach mir zu rufen, andere Arme breiteten sich mir entgegen: Rudolf, mein Sohn – wie würde er nach der »Mama« gefragt haben und nicht haben einschlafen können, ohne den mütterlichen Gutenachtkuß ... Wohin würde ich mich hier wenden, wenn ich Bresser nicht fände? Und die Hoffnung, ihn zu finden, war mir plötzlich so gering geworden, wie unter Hunderttausenden von Losen die Hoffnung auf einen Haupttreffer. Zum Glück hatte ich mein Täschchen mit dem Gelde – der Besitz von Banknoten bietet immer Auskunftsmittel. Unwillkürlich griff ich an die Stelle, wo das Täschchen hängen sollte ... Großer Gott! Der Riemen, an welchem es befestigt gewesen, abgerissen – das Täschchen fort – verloren! ... Welcher Schlag! Und doch, ich brachte es zu keiner Anklage gegen das Schicksal; ich vermochte nicht, zu jammern: »Zufall, wie hart triffst du mich,« denn in einer Zeit, wo rings das Unglück hagelte, über das eigene Unglückchen klagen, da hätte man vor sich selber sich seiner Selbstsucht schämen müssen. Und zudem: für mich gab es nur eine schreckliche Möglichkeit: Friedrichs Tod – alles Andere war nichts.
    Ich musterte alle Anwesenden: kein Doktor Bresser.
    Was nun beginnen? An wen mich wenden? Ich hielt einen Vorübergehenden an:
    »Wo kann ich den Stationschef finden?«
    »Sie meinen den Dirigenten der hiesigen Krankenstation, Stabsarzt S.? Dort steht er.«
    Den hatte ich zwar nicht gemeint, aber vielleicht konnte er mir Auskunft über Doktor Bresser geben. Ich näherte mich der bezeichneten Stelle. Der Stabsarzt sprach eben mit einem vor ihm stehenden Herrn:
    »Es ist ein Elend«, hörte ich ihn sagen. »Man hat hier und in Turnau Depots für alle Hospitäler des Kriegsschauplatzes errichtet; die Gaben strömen massenhaft zu – Wäsche, Lebensmittel, Verbandzeug so viel man will – aber was damit beginnen? Wie abladen – wie sortieren – wie weitersenden? Es fehlt uns an Händen – wir würden hundert rührige Beamte brauchen –«
    Schon wollte ich den Stabsarzt ansprechen, als ich einen Mann auf ihn zueilen sah, in dem ich – o Freude – Doktor Bresser erkannte. In meiner Erregung fiel ich dem alten Hausfreund um den Hals.
    »Sie? Sie, Baronin Tilling? Was machen Sie denn hier?«
    »Ich bin gekommen, zu helfen, zu helfen ... Ist Friedrich nicht in einem Ihrer Spitäler?«
    »Ich habe ihn nicht gesehen.«
    War mir diese Nachricht Enttäuschung oder Erleichterung? – Ich weiß es nicht. Er war nicht da ... also entweder tot oder unversehrt... übrigens, Bresser konnte unmöglich alle Verwundeten der Umgebung erkannt haben – ich mußte selber alle Lazarette absuchen.
    »Und Frau Simon?« fragte ich weiter.
    »Die ist

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