Die Waffen nieder!
hat keinen anderen Feind, als den Menschen – der aber ist grimmig genug.«
»Und auch keinen anderen Freund«, setzte Bresser nach einer kleinen Pause hinzu. Davon geben Sie selber ein Beispiel, hochherzige Frau, Sie sind –«
»O Doktor!« unterbrach Frau Simon. »Schauen Sie – dort, der Flammenschein, am Horizont ... sicherlich ein brennendes Dorf!«
Ich öffnete die Augen und sah den roten Schein.
»Nein«, sagte Doktor Bresser – »es ist der aufgehende Mond.«
Ich versuchte, eine bequemere Stellung einzunehmen, und setzte mich ein wenig auf. Fortan wollte ich vermeiden, die Augen zu schließen: dieser Zustand des Halbschlafes mit dem Bewußtsein des Nichtschlafens, worin die entsetzlichen Phantasiebilder ihren wilden Reigen aufführten – das war gar so qualvoll ... lieber an dem Gespräche der beiden teilnehmen und mich von den eigenen Gedanken losreißen.
Aber der Mann und die Frau waren verstummt. Sie blickten nach der Stelle, wo nun wirklich das Nachtgestirn emporstieg. Und nach einer Weile fielen meine Augen doch wieder zu. Diesmal war es der Schlaf. In der einen Sekunde, in der ich fühlte, daß ich einschlief, daß die Welt um mich aufhörte zu bestehen, empfand ich solche Wonne des Nichtseins, daß mir selbst der Bruder meines Beglückers – der Tod – ganz willkommen gewesen wäre.
Ich weiß nicht, wie lange Zeit ich in dieser negativ-seligen Existenzentrückung zubrachte – aber plötzlich und gewaltsam wurde ich herausgerissen. Kein Lärm, keine Erschütterung war es, was mich geweckt hatte, sondern ein Qualm unerträglich verpesteter Luft.
»Was ist das?!
Gleichzeitig mit mir riefen auch die anderen diese Frage aus.
Unser Wagen bog um eine Ecke und am Wegrand ward uns die Antwort. Vom Monde hell beleuchtet, ragte da eine weiße Mauer empor, vermutlich eine Kirchhofmauer. Jedenfalls hatte sie als Schutzwehr gedient – am Fuße derselben, aufgeschichtet, lagen zahlreiche Leichen ... Der Verwesungsgeruch, der von diesen toten Körpern aufstieg, war es, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Als wir vorbeifuhren, hob sich ein dichter Schwarm von Raben und Krähen kreischend von dem Leichenhaufen empor, flatterte eine Zeitlang – wie schwarzes Gewölk, gegen den hellen Himmelhintergrund und ließ sich dann wieder zum Schmause nieder ...
»Friedrich, mein Friedrich!«
»Beruhigen Sie sich, Baronin Martha«, tröstete mich Bresser; »Ihr Mann konnte nicht dabei gewesen sein.«
Der kutschierende Soldat hatte sein Gespann angetrieben, um schneller aus dem Bereiche des mephitischen Dunstes hinwegzukommen: das Fuhrwerk rasselte und stolperte dahin, als wären wir auf wilder Flucht. Ich glaubte, die Pferde gingen durch ... zitternde Angst erfaßte mich. Mit beiden Händen klammerte ich mich an Bressers Arm; aber den Kopf mußte ich zurückwenden, um dorthin, nach jener Mauer zu schauen und – war es das täuschende Licht des Mondes, waren es die Bewegungen der auf ihre Beute zurückgekehrten Vögel? – mir war es, als regte sich diese ganze Schar von Toten, als streckten uns die Leichname die Arme nach, als rüsteten sie sich, uns zu verfolgen ...
Ich wollte schreien, aber die furchtgepreßte Kehle versagte mir den Dienst.
Wieder bog der Wagen um eine Straßenecke.
»Hier sind wir, das ist Horonewos«, hörte ich den Doktor sagen, und er befahl dem Kutscher, zu halten.
»Was beginnen wir mit der Frau«, klagte Frau Simon – »die wird uns eher ein Hindernis sein – statt einer Hilfe.«
Ich raffte mich auf:
»Nein, nein,« sagte ich – »es ist mir jetzt besser ... Ich will Ihnen helfen, so gut ich kann.«
Wir befanden uns inmitten des Ortes, vor dem Tore eines Schlosses. »Hier wollen mir zuerst sehen, was sich tun läßt«, sagte der Doktor. Das Schloß, von seinen Besitzern verlassen, soll vom Keller bis zum Dache mit Verwundeten angefüllt sein.«
Wir stiegen ab. Ich konnte mich kaum auf den Füßen halten, strengte aber meine äußerste Kraft an, um dies nicht merken zu lassen.
»Vorwärts!« sagte Frau Simon. »Haben wir alle unsere Gepäcksachen? Was ich mitführe, wird den Leuten Labung bringen.«
»Auch in meinem Köfferchen befinden sich Stärkungsmittel und Verbandszeug,« sagte ich.
»Und meine Handtasche enthält Instrumente und Arzneien«, fügte Bresser hinzu, dann gab er den uns begleitenden Soldaten die nötigen Befehle: Zwei sollten bei den Pferden bleiben, die übrigen mit uns kommen.
Wir traten unter das Schloßtor. Dumpfe Klagelaute von verschiedenen
Weitere Kostenlose Bücher