Die Waffen nieder!
gequälten menschlichen Natur zu ertragen, so entquollen doch in der Tat hier meinen Augen unaufhaltsame Tränen. Hier in Roßnitz war es, wo ich am zweiten Tage, als ich erkannte, daß unsere Kräfte solchem Elend nicht gewachsen seien, den Mut verlor und zu verbinden aufhörte.« – – –
»... In welchem Zustand waren diese 600 Männer (diesmal spricht Doktor Naundorff). Es ist unmöglich, dies mit Wahrheit zu schildern. An den noch immer offenen Wunden saugten Mücken, mit denen sie bedeckt waren; im Fieber funkelnde Blicke irrten forschend umher und suchten nach irgendeiner Hilfe – nach Labung, nach Wasser, nach Brot! Mantel, Hemd, Fleisch und Blut bildeten bei den meisten eine widerliche Mischung. Würmer begannen sich darin zu erzeugen und einzufressen. Ein abscheulicher Geruch erfüllte jeglichen Raum. Alle diese Soldaten lagen auf der nackten Erde, nur wenige fanden etwas Stroh, auf welches sie ihre elenden, verstümmelten Körper betten konnten. Einige, welche nur lehmigen, durchweichten Boden unter sich hatten, sind in dem Schlamme desselben halb versunken; sie vermögen nicht, sich aus ihm emporzuarbeiten; andere liegen in einer Pfütze greulichen Schmutzes, den zu beschreiben jede Feder sich sträuben muß.«
»... In Masloved« – so erzählte Frau Simon – »ein Ort von ungefähr fünfzig Nummern, lagen – acht Tage nach der Schlacht – 700 Verwundete. Nicht sowohl ihr Jammergeschrei als ihre trostlose Verlassenheit drang zum Himmel empor. In einer einzigen Scheune waren allein 60 dieser Unglücklichen aufgeschichtet. Eine jede ihrer Wunden war an sich schon schwer durch den hilflosen Zustand, den Mangel an Pflege und Nahrung waren dieselben hoffnungslos geworden; fast alle waren brandig. Zerschossene Glieder bildeten nur noch faulende Fleischstücke, Gesichter nur noch eine mit Schmutz bedeckte, zerronnene Blutmasse, in welcher eine unförmliche schwarze Öffnung den Mund vorstellte, welchem gräßliche Töne entquollen. Die fortschreitende Verwesung trennte ganz abgestorbene Teile von diesen elenden Körpern. Lebendige liegen neben Toten gebettet, die in Fäulnis überzugehen beginnen und für welche die Würmer sich rüsten.
Diese sechzig Menschen, sowie der größte Teil der übrigen, lagen seit einer Woche auf derselben Stelle. Ihre Wunden waren entweder gar nicht, oder nur in unzureichender Weise verbunden worden; seit dem Tage der Schlacht lagen sie unfähig sich von der Stelle zu bewegen, nur mangelhaft genährt, ohne hinreichendes Wasser. Unter sich ein durch Blut und Unrat verfaulendes Lager, so verbrachten sie acht Tage! Lebendige Leichname, durch deren zuckende Glieder eine vergiftete Blutwelle nur noch träge ihren Umlauf vollendet. Sie hatten noch nicht sterben können, und doch – wie durften sie je erwarten, je wieder lebendig zu werden? Was ist dabei des Staunens werter« – beschloß Frau Simon diesen Bericht – »die unendliche Lebenskraft der menschlichen Natur, welche da erduldet, und noch zu atmen vermag, oder der Mangel an ausreichender Hilfe?«
Das staunenswerteste ist – will mich bedünken – daß Menschen einander in solche Lage bringen , – daß Menschen, die so etwas gesehen, nicht kniend hinsinken und den leidenschaftlichen Eid schwören, gegen den Krieg zu kriegen: daß sie nicht – wenn sie Fürsten sind – das Schwert von sich schleudern oder – wenn sie keine Macht besitzen – nicht fortan ihr ganzes Wirken, in Wort und Schrift, in Denken, Lehren und Handeln dem einen Ziele widmen: Die Waffen nieder!
Frau Simon – sie nannten sie die »Lazarett-Mutter« – war eine Heldin. Wochenlang hatte sie in jenen Gegenden geweilt und alle Drangsale und Gefahren ertragen. Hunderte sind durch sie gerettet worden. Tag und Nacht arbeitete, schaffte, befehligte sie. Bald verrichtete sie die demütigsten Dienste an den Krankenlagern, bald kommandierte sie Transporte oder requirierte Lebensmittel. Wenn sie an einem Orte Hilfe geschafft, so eilte sie ohne Rast an einen anderen; sie ließ aus Dresden eine reiche Sendung kommen und führte dieselbe, trotz allen entgegenstehenden Schwierigkeiten, nach den Punkten, welche der Hilfe bedurften; sie übernahm die Vertretung der patriotischen Vereine auf böhmischem Boden und errang sich da eine Stellung gleich derjenigen, welche Florence Nightingale in der Krim eingenommen.
Und ich? Gebrochen, trostlos, von Schmerz und Ekel überwältigt – nichts habe ich zu helfen vermocht. Schon in der Kirche – unsere erste
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