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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Augenblick gekommen, da ich vielleicht denjenigen finden würde, auf dessen vermeintlichen Ruf ich die unselige Fahrt unternommen; dieser Gedanke peitschte meine gebrochenen Kräfte wieder einigermaßen auf.
    Frau Simon begab sich in Begleitung des preußischen Stabsarztes vorerst in das Schloß, wo die meisten Verwundeten lagen. Doktor Bresser wollte die übrigen Räume des Dorfes durchsuchen. Ich zog es vor, mich dem Freunde anzuschließen und ging mit diesem. Daß Friedrich in dem Schlosse nicht lag, hatte der Doktor bereits auf einem früheren Rundgang konstatiert.
    Wir hatten kaum hundert Schritte gemacht, als laute Klagerufe an unser Ohr schlugen. Dieselben drangen aus dem offenen Tor der kleinen Dorfkirche. Wir traten ein. Über hundert Menschen lagen auf dem harten Steinboden – schwerverwundet, verstümmelt. Fiebernden und irrenden Blickes schrien und jammerten sie nach Wasser. Schon an der Schwelle war mir zum Umsinken – ich schritt aber dennoch die Reihen durch: Ich suchte ja Friedrich ... Er war nicht da.
    Bresser mit seinen Leuten machten sich bei den Armen zu schaffen; ich stützte mich an einen Seitenaltar und blickte mit unnennbarem Schaudern auf das Jammerbild.
    Und das war der Tempel des Gottes der ewigen Liebe – das waren die wundertätigen Heiligen, welche da in den Nischen und an den Wänden fromm die Hände falteten und ihre Köpfe unter den goldstrahlenden Glorienschein emporhoben? ...
    »O Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes ... einen Tropfen Wasser ... erbarme dich!« hörte ich einen armen Soldaten flehen. Das hatte er zu dem buntbemalten, tauben Bilde wohl schon tagelang vergebens gebetet. – O, ihr armen Menschen, ehe ihr nicht dem Gebot der Liebe gehorcht, das ein Gott in eure Herzen gelegt hat, werdet ihr immer vergebens die Liebe Gottes anrufen – so lange unter euch die Grausamkeit nicht überwunden ist, habt ihr von himmlischem Mitleid nichts zu hoffen ...
    * * *
    Was ich an diesem selben Tage noch alles sehen und erfahren mußte!
    Nicht wieder erzählen, das wäre freilich das einfachste und verlockendste. Man schließt die Augen und wendet den Kopf ab, wenn gar zu Grauenhaftes sich ereignet – auch das Gedächtnis hat die Fähigkeit zu solchem Augenschließen. Wenn doch nichts mehr zu helfen ist – was läßt sich an der starren Vergangenheit ändern? – wozu sich und die anderen mit dem Wühlen in Entsetzlichen quälen?
    Mehr noch. Nicht nur mein eigenes Gedächtnis will ich anstrengen – meine Auffassungskraft reichte an die Wucht der Geschehnisse gar nicht heran –; ich werde noch hinzufügen, was andere Zeugen jener Szenen – was Frau Simon, Doktor Brauer und der sächsische Feldhospital-Kommandant, Doktor Neundorff (man vergleiche des letztgenannten erschütterndes Buch »Unter dem Roten Kreuz«), berichtet haben.
    Wie in Horonewos, so hatte die Hölle noch in vielen anderen der umliegenden Ortschaften ihre Filialen. So war es in Speti, in Hradek, in Problus. So in Pardubitz, wo, als es die ersten Preußen besetzten, ›... über tausend Schwerverwundete, Operierte und Amputierte umherlagen, teils sterbend, teils schon gestorben, Leichen zwischen Verscheidenden und solchen, welche ihr Ende ersehnten. Viele nur in blutigen Hemden, daß man nicht einmal wissen konnte, welches Landes Kinder sie waren. Alle die, welche noch Spuren des Lebens in sich trugen, schreiend nach Wasser und Brot, sich krümmend unter den Schmerzen ihrer Wunden und um den Tod gleichwie um eine Wohltat flehend.‹
    »Roßnitz«, so schreibt Doktor Brauer in seinen Briefen, »Roßnitz, dieser Ort, dessen Bild bis in meine Sterbestunde vor meinem Gedächtnisse stehen wird, Roßnitz, wohin ich am 6. Tage nach der mörderischen Schlacht von den Johannitern geschickt wurde und wo das größte Elend, welches sich menschliche Einbildungskraft vorzustellen vermag, noch an diesem Tage herrschte. Ich fand daselbst unseren R. mit 650 Verwundeten, welche in elenden Scheunen und Ställen, ohne Verpflegung, mitten unter Toten und Halbtoten, teilweise seit Tagen in ihrem eigenen Kote liegend. Hier war es, wo ich nach Errichtung des Grabhügels des gefallenen Oberstleutnant v. F. so von Schmerz überwältigt wurde, daß ich eine Stunde lang die heißesten Tränen vergoß und mich trotz des Aufwandes meiner ganzen moralischen Kraft kaum zu fassen vermochte. Obgleich ich als Arzt gewohnt bin, menschliches Elend in allerlei Gestalt zu erblicken und in der Ausübung meines Berufes es lernte, den Jammer der

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