Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
Vom Netzwerk:
Etappe – fiel ich auf den Stufen jenes Mariennaltars erschöpft zusammen, und Doktor Bresser hatte alle Mühe, mich wieder aufzurichten. Von dort schleppte ich mich an seiner Seite eine Strecke weiter, und wir kamen in eine solche Scheune, welche ein Bild bot, wie es Frau Simon beschrieben. In der Kirche wenigstens war ein weiter Raum, wo die Unglücklichen nebeneinander lagen, hier aber waren sie auf- und ineinander geschichtet – haufen- und knäuelweise; in die Kirche waren doch Pflegende – vielleicht ein durchmarschierendes Sanitätskorps – gekommen, welche zwar mangelhafte, aber doch einige Hilfe geboten hatten; hier aber waren lauter ganz ungefunden Gebliebene – eine krabbelnde, wimmernde Masse halbverfaulter Menschenreste ... Erstickender Ekel packte mich an der Kehle, bitterster Jammer am Herzen – mir war, als fühlte ich letzteres entzwei brechen – und ich stieß einen gellenden Schrei aus. Dieser Schrei ist das letzte, was mir von jener Szene in Erinnerung geblieben.
    Als ich wieder zur Besinnung kam, befand ich mich in einem fahrenden Eisenbahnwagen. Mir gegenüber saß Doktor Bresser. Als er gewahrte, daß ich die Augen geöffnet und erstaunt und forschend um mich schaute, ergriff er meine Hand.
    »Ja, ja, Frau Martha,« sagte er, »dies ist ein Coupé zweiter Klasse – Sie träumen nicht. Sie sind hier in Gesellschaft einiger leichtverwundeter Offiziere und Ihres Freundes Bresser, und wir fahren nach Wien.«
    So war es. Der Doktor hatte einen Transport Verwundeter von Horonewos nach Königshof gebracht, und von dort war ihm ein anderer Transport zur Beförderung nach Wien anvertraut worden. Mich Ohnmächtige – in der doppelten Bedeutung des Wortes ohnmächtig – hatte er mitgenommen und brachte mich nach Hause. Ich hatte mich auf jenen Stätten des Elends als völlig unnütz und unfähig erwiesen, als ein Hindernis und eine Bürde; Frau Simon war sehr froh, als Doktor Bresser mich fortschaffte. Und ich mußte zugeben, daß es so am besten war. Aber Friedrich? – Ich hatte ihn nicht gefunden. Gott sei Dank – daß ich ihn nicht gefunden: so war noch nicht alle Hoffnung tot: und hätte ich gar den geliebten Mann unter jenen Jammergestalten erkennen müssen – ich wäre wahnsinnig geworden! Vielleicht würde ich zu Hause einen Brief meines Friedrich vorfinden ... Diese Hoffnung – nein, Hoffnung ist zu viel gesagt: der Gedanke an diese bloße Möglichkeit – goß mir einen Balsam in die wunde Seele. Ja wund – wund fühlte ich mein Inneres ... Das Riesenweh, welches ich gesehen, hatte mir so tief ins eigene Herz geschnitten, daß mir war, als sollte es nie mehr ganz geheilt werden können. – Auch wenn ich meinen Friedrich wiederfände, auch wenn mir eine lange Zukunft von Glanz und Liebe beschert würde, könnte ich denn jemals vergessen, daß so viele andere meiner armen Menschenbrüder und Schwestern so unsägliches Unglück tragen müssen? So lange tragen müssen, als sie nicht zur Einsicht kommen, daß dieses Unglück nicht Verhängnis, sondern Verbrechen ist. – –
    Ich schlief beinahe während der ganzen Fahrt. Doktor Bresser hatte mir ein leichtes Narkotikum eingegeben, damit ein langer und fester Schlaf meine durch die Erlebnisse von Horonewos so erschütterten Nerven wieder einigermaßen beruhige.
    Als wir auf dem Wiener Bahnhof ankamen, stand schon mein Vater da, mich abzuholen. Doktor Bresser, der an alles dachte, hatte nach Grumitz telegraphiert. Ihm selbst wäre es nicht möglich gewesen, mich dahin zu begleiten, da er seine Verwundeten in das Hospital zu bringen hatte und dann unverzüglich wieder nach Böhmen zurückkehren wollte.
    Mein Vater umarmte mich schweigend und auch ich fand kein Wort zu sagen. Dann wandte er sich an Doktor Bresser.
    »Wie soll ich Ihnen danken? Hätten Sie nicht diese kleine Verrückte in Schutz genommen – –«
    Aber der Doktor drückte uns eilig die Hände.
    »Ich muß weg,« sagte er, »ich habe Dienst. Kommen Sie glücklich nach Hause. Die junge Frau braucht Schonung, Exzellenz ... ist stark erschüttert worden ... keine Vorwürfe, kein Ausfragen ... schnell ins Bett: ... Orangenblütenwasser ... Ruhe, Adieu!« Und fort war er.
    Mein Vater legte meinen Arm in den seinen und führte mich durch das Gedränge dem Ausgang zu. Da stand wieder eine lange Reihe von Ambulanzwagen. Wir mußten eine Strecke zu Fuß gehen, um zu der Stelle zu gelangen, wo unser Wagen wartete.
    Die Frage: »Ist mittlerweile Nachricht von Friedrich gekommen?«

Weitere Kostenlose Bücher