Die Waffen nieder!
sich eine Pensionsschülerin hinaus in die Welt – auf den ersten Ball. Sie hat tanzen gelernt – der Neustädter Schüler lernte schießen und fechten –; sie sehnt sich, unter einem angezündeten Kronleuchter, in festlicher Toilette, bei Orchesterklang, ihre Kunst zu entfalten, und er sehnt sich nicht minder nach der schmucken Uniform und nach dem großen Kanonenkotillon.
Der Vater war über dieses soldatische Feuer seines Lieblings natürlich hoch erfreut:
»Sei ruhig, mein tapferer Junge,« erwiderte er auf Ottos Seufzer über den drohenden Frieden, und klopfte ihm beifällig auf die Schulter, du hast ein langes Leben vor dir. Wenn auch jetzt der Feldzug zu Ende wäre, in den nächsten Jahren muß es doch wieder losgehen.«
Ich sagte nichts. Seit meinem letzten Ausfall gegen Tante Marie hatte ich, auf Friedrichs Weisung, den Vorsatz gefaßt und ausgeführt, die leidigen Streitereien über das Thema Krieg möglichst zu vermeiden. Es konnte ja zu nichts führen, als zu Bitterkeiten; und seitdem ich die Spuren der grausigen Geißel mit eigenen Augen gesehen, hatte sich mein Haß und meine Verachtung des Krieges so vertieft, daß mir jede Verteidigung desselben wie eine persönliche Beleidigung in die Seele schnitt. Mit Friedrich waren wir einig: er würde austreten; und darüber war ich auch im klaren: mein Sohn Rudolf würde in keine militärische Anstalt getan, wo die ganze Erziehung darauf eingerichtet ist – und folgerichtig eingerichtet sein muß – in den Jünglingen die Sehnsucht nach kriegerischen Taten zu wecken. Ich forschte meinen Bruder einmal aus, was denn so die Ansichten seien, welche den Schülern in bezug auf den Krieg beigebracht werden. Aus seinen Antworten ging ungefähr folgendes hervor: Der Krieg wird als ein notwendiges Übel hingestellt (also doch Übel – ein Zugeständnis dem Geiste der Zeit), zugleich aber als der vorzüglichste Erwecker der schönsten menschlichen Tugenden, die da sind: Mut, Entsagungskraft und Opferwilligkeit, als der Spender des größten Ruhmesglanzes und schließlich als der wichtigste Faktor der Kulturentwicklung. Die gewaltigen Eroberer und Gründer der sogenannten Weltreiche – die Alexander, Cäsar, Napoleon – werden als die erhabensten Beispiele menschlicher Größe angeführt und der Bewunderung empfohlen; die Erfolge und Vorteile des Krieges werden auf das lebhafteste herausgestrichen, während man die in seinem Gefolge unabweisbar eintretenden Nachteile – Verrohung, Verarmung, moralische und physische Entartung – gänzlich mit Stillschweigen übergeht. – Nun ja; nach demselben System ward ja auch in meinem – im Mädchenunterricht vorgegangen; dadurch war in meinem kindlichen Gemüt die Bewunderung für die Kriegslorbeeren entstanden, die mich einst beseelte. War ich doch selber von Bedauern erfüllt gewesen, daß mir nicht, wie den Knaben, die Möglichkeit winkt, solche Lorbeeren zu pflücken – konnte ich es nun einem Knaben verargen, daß ihn diese Möglichkeit mit Freude und mit Ungeduld erfüllte?
Und so antwortete ich denn nichts auf Ottos Klageruf, sondern setzte ruhig meine Lektüre fort. Ich las, wie gewöhnlich, eine Zeitung und diese war – auch wie gewöhnlich – mit Berichten vom Kriegsschauplatz gefüllt.
»Da ist eine interessante Korrespondenz eines Arztes, der den Rückzug unserer Truppen mitgemacht hat ... soll ich laut lesen?« fragte ich.
»Den Rückzug?« rief Otto. »Das möchte ich lieber nicht hören. Ja, wenn es die Geschichte vom Rückzug des verfolgten Feindes wäre –«
»Es nimmt mich überhaupt Wunder«, bemerkte Friedrich, »daß jemand etwas von einer mitgemachten Flucht erzählt; das ist eine Kriegsepisode, über welche die Beteiligten zu schweigen pflegen.«
»Ein geordneter Rückzug ist noch keine Flucht«, fiel mein Vater ein. »Da hatten wir einmal im Jahre 49 – es war unter Radetzky –«
Ich kannte die Geschichte und hinderte deren Abrollung, indem ich unterbrach:
»Dieser Bericht war an eine medizinische Wochenschrift eingesendet, daher nicht für militärische Kreise bestimmt. Hört zu.«
Und ohne weiter um Erlaubnis zu fragen, las ich die Stelle vor:
»– – Um vier Uhr fingen unsere Truppen zu retirieren an. Wir Ärzte waren noch vollauf beschäftigt mit dem Verbinden der Verwundeten – deren Zahl einige Hundert – welche noch der Abfertigung harrten. Plötzlich sprengte Kavallerie auf uns heran und stürmte neben und hinter uns über Hügel und Felder – gleichzeitig Artillerie-
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