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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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stoben die aufgelösten Bataillone dahin, der nachsprengende und nachfeuernde Feind hinterher. ... Das ist unter den vielen grausamen Phasen des Krieges die grausamste: wenn die beiden Gegner nicht als Kämpfer, sondern als Jäger und Wild fungieren. Hier kommt für den Jäger die roheste Mordlust, für das Wild die bitterste Todesfurcht zum Vorschein. Gehetzt und furchtgespornt, geraten die Verfolgten in eine Art Delirium; all die anerzogenen Gefühle und Gesinnungen, welche den in den Kampf sich Stürzenden beleben, – Vaterlandsliebe, Ehrgeiz, Tatendurst – die gehen dem Fliehenden verloren. Ihn erfüllt nur noch ein zu ganzer Gewalt entfesselter Trieb, und zwar der heftigste, der ein lebendes Wesen beherrschen kann: der Selbsterhaltungstrieb. Dieser steigert sich – je näher die Gefahr – bis zum höchsten Paroxysmus der Qual. Auch wer solches niemals durchgemacht, kann – wenn anders er die Extasen der Liebeswonnen kennt – sich einen Begriff von jener Schmerzenswut machen. Was für den auf das äußerste aufgestachelten Gattungstrieb der Augenblick der Wollust ist, das ist für den Erhaltungstrieb – gleichgradig, nur auf dem anderen Ende der Skala – der Augenblick, da das erschöpfte Wild unter den Fängen der Meute zusammenbricht.«
    »Aber Tilling,« kam es nun wieder in vorwurfsvollem Tone von Tante Marie – »Vor den Mädchen! Worte wie Wol–«
    »Und vor einem Jüngling,« fügte mein Vater ebenso vorwurfsvoll hinzu, »vor einem angehenden Soldaten, Worte wie Todesfurcht –«
    Friedrich zuckte die Achseln:
    »Ich würde raten,« entgegnete er, »aus dem Lexikon vor allem das Wort Natur zu streichen.«
    * * *
    Friedrichs Genesung machte sichere Fortschritte. Auch die fiebernde Welt draußen schien ihrer Gesundung näher zu kommen: immer öfter und immer lauter ward das Wort Friede gesprochen. Der Vormarsch der Preußen, welche auf ihrem Wege keinen Widerstand mehr fanden, und welche über Brünn – dessen Schlüssel der Bürgermeister dem König Wilhelm überreicht hatte – ruhig gegen Wien zogen, dieser Vormarsch glich eher einem militärischen Spaziergang als einem Kriegszug – und am 26. Juli wurde denn auch richtig zu Nikolsburg ein Waffenstillstand mit Friedenspräliminarien abgeschlossen.
    Eine große Freude erlebte mein Vater an der eingelaufenen Nachricht von Admiral Tegethoffs Sieg bei Lissa. Italienische Schiffe in die Luft gesprengt – der »Affundatore« zerstört: welche Genugtuung! Ich konnte mich an dem Entzücken nicht so recht beteiligen. Überhaupt konnte ich nicht recht verstehen, warum diese Seeschlachten noch geliefert wurden. Aber so viel ist gewiß, über das Ereignis brach – nicht nur bei meinem Vater – sondern in allen Wiener Blättern, der hellste Jubel aus. Der Ruhm eines kriegerischen Sieges ist etwas durch jahrtausendelange Tradition zu solcher Größe Aufgebauschtes, daß auf die Kunde eines solchen für das ganze Volk ein Stolzanteil entfällt. Wenn irgendwo ein vaterländischer General einen fremden General geschlagen hat, so wird jedem einzelnen Angehörigen des betreffenden Staates gratuliert, und da jeder hört, daß sich alle anderen freuen – was allerdings erfreulich ist – so freut sich schließlich in der Tat ein jeder. »Herdengefühle« würde das Friedrich genannt haben.
    Ein anderes politisches Ereignis jener Tage war, daß sich Österreich nunmehr dem Genfer Vertrage anschloß:
    »Nun – bist du jetzt zufrieden?« fragte mein Vater, als er diese Nachricht gelesen: – »siehst du ein, daß der Krieg, den du immer eine Barbarei nennst, mit der fortschreitenden Zivilisation immer humaner wild? Ich bin ja auch für das menschliche Kriegführen: den Verwundeten gebührt die sorgfältigste Pflege und alle mögliche Erleichterung ... Schon aus strategischen Gründen, welche schließlich in Kriegssachen doch das wichtigste sind; durch eine gehörige Behandlung der Kranken können sehr viele in kurzer Zeit wieder kampffähig und in die Reihen zurückversetzt werden.«
    »Du hast recht, Papa: wieder brauchbares Material – das ist die Hauptsache ... Aber nach den Dingen, die ich gesehen, kann kein rotes Kreuz ausreichen – und hätte es zehnmal mehr Leute und Mittel, – um das Elend abzuwehren, welches eine Schlacht im Gefolge hat –«
    »Abwehren freilich nicht, aber mildern. Was sich nicht verhüten läßt, muß man eben zu mildern trachten.«
    »Die Erfahrung lehrt, daß eine ausreichende Milderung nicht möglich ist. Ich wollte daher, der

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