Die Waffen nieder!
Satz würde umgekehrt: Was sich nicht mildern läßt, soll man verhüten!«
Es fing bei mir an, eine fixe Idee zu werden: Die Kriege müssen aufhören. Und jeder Mensch muß beitragen, was er nur immer kann, auf daß die Menschheit diesem Ziele – sei's auch nur eine Tausendstel Linie – näher rücke. Die Bilder wurde ich nicht mehr los, die ich da oben in Böhmen geschaut. Besonders des Nachts, wenn ich aus festem Schlafe auffuhr, fühlte ich jenes wunde Weh im Herzen, und zugleich im Gewissen eine Pflichtmahnung – als erteilte mir jemand den Befehl: »Verhindere, verhüte, duld' es nicht!« Erst wenn ich vollends wach geworden und mich besann, was ich war, kam mir die Einsicht meiner Ohnmacht: Was soll denn ich verhindern und verhüten können? Da könnte mir einer ebensogut angesichts des flut- und sturmdrohenden Meeres befehlen: Duld' nicht! Schöpfe es aus! – Und mein nächster Gedanke – besonders wenn ich seine Atemzüge hörte – war ein tiefglückliches: »Friedrich hab' ich wieder«, und ich versenkte mich in diese Vorstellung, so lebhaft als nur möglich; da legte ich den Arm um den neben mir liegenden, auch auf die Gefahr, ihn aufzuwecken, und küßte ihn auf den Mund.
Mein Sohn Rudolf hatte eigentlich recht, auf seinen Stiefvater eifersüchtig zu sein – dieses Gefühl war nämlich seit letzter Zeit im Herzen des Kleinen erwacht. Daß ich von Grumitz abgereist war, ohne ihm adieu zu sagen, daß ich bei meiner Rückkunft nicht zuerst ihn zu umarmen verlangt; – daß ich überhaupt fast den ganzen Tag nicht von des Gatten Seite wich – das alles zusammengenommen hatte das arme Bürschchen veranlaßt, mir eines schönen Morgens weinend an den Hals zu sinken, und zu schluchzen:
»Mama, Mama, du hast mich gar nicht mehr lieb!«
»Was sprichst du für Unsinn, Kind?«
»Ja ... nur ... nur Pa–pa ... Ich ... ich will gar nicht ... groß werden, wenn du mich nicht mehr magst ....«
»Nicht mehr mögen? Dich, mein Kleinod!« – Ich küßte und herzte das weinende Kind – »dich, mein einziger Sohn, mein Stolz, meine Zukunftsfreude! Ich habe dich ja so, ich habe dich ja über – nein, nicht über alles, aber so unendlich lieb.«
Nach diesem kleinen Auftritt war mir die Liebe zu meinem Buben wieder lebhafter zum Bewußtsein gekommen. In der letzten Zeit war ich in der Tat von der Angst um Friedrich so sehr eingenommen gewesen, daß der arme Rudolf ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden.
Die Pläne, welche wir miteinander, Friedrich und ich, für die Zukunft schmiedeten, waren folgende: nach Beendigung des Krieges Austritt aus dem Militärdienst und Zurückziehung nach einem kleinen, billigen Ort, wo Friedrichs Obersten-Pension und meine Zulage genügen konnten, unseren kleinen Haushalt zu bestreiten. Wir freuten uns auf dieses einsame, selbständige Beisammensein, wie ein paar junge Verliebte. Durch die zuletzt durchgemachten Ereignisse hatten wir wieder so recht gelernt, daß wir uns gegenseitig die Welt bedeuteten. Der kleine Rudolf war übrigens aus dieser Gemeinschaft nicht ausgeschlossen. Seine Erziehung sollte als eine Hauptaufgabe unsere geplante Existenz ausfüllen. Nicht müßig und zwecklos wollten wir die Tage dahinleben; da hatten wir unter anderem eine ganze Liste von Studien aufgestellt, die wir gemeinschaftlich pflegen wollten. Unter den Wissenschaften war es namentlich ein Zweig der Rechtswissenschaft, nämlich das Völkerrecht, dem sich Friedrich ganz besonders zu widmen vornahm. Er beabsichtigte, fern von allen utopistischen und sentimentalen Theorien, die praktische, die reale Seite des Völkerfriedens zu untersuchen. Durch die Lektüre Buckles – zu welcher ich ihm den Anstoß gegeben – durch die Bekanntmachung mit den neuesten naturwissenschaftlichen Errungenschaften, welche ihm durch die Bücher Darwins, Büchners und anderer geoffenbart worden, hatte sich ihm die Überzeugung erschlossen, daß die Welt einer neuen Erkenntnisphase entgegen geht; und diese Erkenntnis in möglichster Fülle sich anzueignen, das schien ihm nunmehr – neben den Freuden der Häuslichkeit – Lebensinhalt genug.
Mein Vater, der von unseren Absichten vorläufig nichts wußte, machte ganz andere Zukunftspläne für uns:
»Du wirst jetzt ein junger Oberst sein, Tilling, und in zehn Jahren bist du sicher General. Bis dahin wird schon wieder ein Krieg ausbrechen und du kannst das Kommando eines ganzen Armeekorps – oder, wer weiß? die Würde eines Generalissimus erlangen, und es wird
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