Die Waffen nieder!
und Fuhrwesenwagen – gegen Königgrätz zu. Viele Kavalleristen stürzten und wurden von den nachstürmenden Pferden völlig zerstampft. Wagen fielen um und zerdrückten die sich dazwischen drängenden Fußgänger. Wir wurden vom Verbandplatze, der plötzlich verschwand, auseinandergeworfen. Man rief uns zu ›Rettet euch‹. Inmitten dieses Geschreies hörte man noch den Donner der Kanonen und Granatsplitter fielen in unsere Massen. So wurden wir von der Menge fortgedrückt, ohne zu wissen, wohin. Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen. Meine alte Mutter ... meine heißgeliebte Braut, lebt wohl!... – Plötzlich hatten wir Wasser vor uns; rechts einen Eisenbahndamm, links einen Hohlweg, vollgestopft mit schwerfälligen Requisitions- und Verwundetenwagen, und hinter uns noch eine unabsehbare Reihe von Reitern. Wir wateten durch das Wasser. Jetzt kam Befehl, die Stränge der Pferde abzuschneiden, die Pferde zu retten und die Wagen zurückzulassen. Auch die Wagen mit den Verwundeten? Ja – auch die. Wir Fußgänger waren der Verzweiflung nahe; wir wateten wiederholt bis über die Knie im Wasser, in der Angst, jeden Augenblick niedergestoßen zu werden und zu ertrinken. Endlich gelangten wir in einen Bahnhof, der wieder ganz verrammelt war. Viele durchbrachen die Verrammlung, die anderen sprangen darüber hinweg – ich lief mit Tausenden Infanteristen hinterher. Jetzt kamen mir zu einem Fluß – durchwateten ihn; dann sprangen wir über Pallisaden, gingen abermals bis an den Hals über einen zweiten Fluß, kletterten über Anhöhen hinauf, sprangen über gefällte Bäume und langten um 1 Uhr nachts in einem Wäldchen an, wo wir vor Erschöpfung und Fieber niedersanken. Um 3 Uhr marschierten wir – – das heißt ein Teil von uns, ein anderer Teil von uns mußte zurückbleiben, da zu sterben – marschierten wir, noch triefend vor Nässe und Kälte, weiter. Die Dörfer alle leer – keine Menschen, keine Lebensmittel, nicht einmal Trinkwasser – die Luft verpestet. Tote auf den zerstampften Getreidefeldern, kohlschwarze Körper, die Augen aus den Höhlen –«
»Genug, genug!« schrien die Mädchen.
»Solche Sachen sollte die Zensur gar nicht erlauben,« bemerke mein Vater. »Es könnte einem die Freude an dem Soldatenleben verleiden –«
»Und besonders die Freude an dem Krieg, das wäre wirklich schade,« schaltete ich halblaut ein.
»Überhaupt«, fuhr er fort, »die Fluchtepisoden sollten diejenigen, welche dabei waren, anständigerweise verschweigen, denn es ist wahrlich keine Ehre, ein allgemeines ›sauve qui peut‹ mitgemacht zu haben. Der Wicht, der mit dem Rufe ›Rettet euch‹ das erste Signal zum Reißaus gibt, sollte sofort niedergeschossen werden. Ein Feiger ruft es und tausend Tapfere werden dadurch demoralisiert und müssen mitlaufen.«
»Gerade so«, entgegnete Friedrich, »wie wenn ein Tapferer ›Vorwärts!‹ ruft, tausend Feige voranstürmen müssen, – und dabei auch wirklich von momentaner Tapferkeit durchglüht werden. Es lassen sich die Menschen überhaupt nicht so scharf in mutige und mutlose trennen, sondern ein jeder hat seine mehr oder minder couragierten, sowie mehr oder minder feigen Augenblicke. Und besonders, wo es sich um Scharen handelt, hängt jeder einzelne von dem Zustand seiner Gefährten ab. Wir sind Herdengeschöpfe und werden von Herdengefühlen beherrscht. Wo ein Schaf hinüberspringt, springen die anderen nach; wo einer »Hurra« schreiend voransprengt, schreien die anderen nachsprengend mit; und wo einer die Flinte ins Korn wirft, um zu laufen, laufen die anderen nach. In dem einen Fall wird die »tapfere Truppe« laut gepriesen, im zweiten wird über ihr Vorgehen – geschwiegen, und es sind doch dieselben Leute. Ja, dieselben Menschen sind es, die je nach der Masseneinwirkung mutig oder mutlos sich gebärden und fühlen. Nicht als anhaftende Eigenschaften sind Tapferkeit und Furcht zu betrachten, vielmehr als Gemütszustände, gerade so wie Fröhlichkeit und Trauer. Ich bin während meines ersten Feldzuges einmal in den Wirbel einer solchen wilden Flucht geraten. In den offiziellen Aufzeichnungen des Generalstabes wurde das Ding zwar als »wohlgeordneter Rückzug« mit einigen Worten abgetan – es war aber eine richtige Deroute. Das tobte und kollerte und raste fort, in namenloser Verwirrung: die Waffen, die Tornister, die Tschakos und die Mäntel wurden weggeschleudert – kein Kommandowort mehr zu hören – keuchend, schreiend, verzweiflungsgepeitscht
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