Die Waffen nieder!
nickte.
»Mama, Mama!« kam es vom Nebenzimmer her und die Tür wurde aufgerissen. Es war meine Schwester Lilli, den kleinen Rudolf an der Hand,
»Verzeih', daß ich euer Wiedersehen-tête-à-tête störe, aber dieser da verlangt gar zu stürmisch nach seiner Mama.«
Ich eilte dem Kind entgegen und preßte es leidenschaftlich an mein Herz. – Ach die arme, arme Tante Kornelie!
* * *
Noch am selben Tag kam der aus Wien telegraphisch gerufene Chirurg im Schlosse an und nahm Friedrichs Wunde in Behandlung. Sechs Wochen äußerste Ruhe – und die Heilung würde eine vollständige sein.
Daß mein Mann den Dienst quittieren würde, das stand nun bei uns beiden fest. Natürlich konnte dies erst nach Beendigung des Krieges ausgeführt werden. Übrigens konnte man den Krieg füglich als beendet betrachten. Nach dem Verzicht auf Venedig war der Konflikt mit Italien beseitigt. Napoleons Freundschaft war gewonnen und man würde imstande sein, mit dem nordischen Sieger einen glimpflichen Frieden abzuschließen. Unser Kaiser selbst wünschte sehnlichst, dem unglücklichen Feldzug ein Ende zu machen und wollte nicht noch seine Hauptstadt einer Belagerung aussetzen. Die preußischen Siege im übrigen Deutschland, so der am 16. Juli stattgefundene Einzug der Preußen in Frankfurt a. M., verliehen dem Gegner einen gewissen Nimbus, der – wie alle Erfolge – auch bei uns zu Lande Bewunderung erzwang und eine Art Glauben weckte, daß es eine geschichtliche Mission sei, welche da von den Preußen mittels gewonnener Schlachten ausgeführt wurde. Das Wort »Waffenstillstand« – »Frieden« war nun einmal gefallen, und da konnte auf dessen Verwirklichung ebenso sicher gerechnet werden, wie man in Zeiten, wo die Drohung des Krieges einmal ausgesprochen, über kurz oder lang auf den Ausbruch des Krieges rechnen muß. Selbst mein Vater gab jetzt zu, daß unter den obwaltenden Umständen ein Aufheben der Feindseligkeiten angemessen wäre; die Armee war geschwächt, die Überlegenheit des Zündnadelgewehrs mußte anerkannt werden und ein Vormarsch der feindlichen Truppen nach der Hauptstadt, die Beschießung Wiens und nebstbei auch die Zerstörung von Grumitz: das waren Eventualitäten, welche auch meinem kampflustigen Herrn Papa nicht sonderlich zulächelten. Sein Vertrauen in die Unbesiegbarkeit der österreichischen Truppen war durch die Tatsachen denn doch stark erschüttert worden; und es ist überhaupt eine Neigung des menschlichen Geistes, von den laufenden Ereignissen anzunehmen, daß sie serienweise auftreten: daß auf Erfolg wieder Erfolg, auf Unglück wieder Unglück folgen müsse. Besser also, in der Unglücksserie innehalten – die Zeit der Genugtuung und der Rache würde schon kommen ...
Rache und immer wieder Rache? Jeder Krieg muß einen Besiegten aufweisen und wenn dieser nur in einem nächsten Krieg Genugtuung finden kann, einem nächsten, der natürlich wieder einen genugtuungheischenden Besiegten schaffen wird – wann nimmt das ein Ende? Wie kann Gerechtigkeit erlangt, wann altes Übel gesühnt werden, wenn als Sühnemittel immer wieder neues Unrecht angewendet wird? Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!
Die in Grumitz obwaltende Stimmung war allgemein eine düstere. In der Ortschaft herrschte Panik: »Die Preußen kommen, die Preußen kommen« war auch hier – trotz der von mancher Seite gehegten Friedenshoffnungen – immer noch die ausgegebene Angstparole, und die Leute verpackten und vergruben ihre Kostbarkeiten; auch bei uns im Schlosse hatten Tante Marie und Frau Walter dafür gesorgt, daß das Familiensilber in ein geheimes Versteck gebracht werde. Lilli war in steter Sorge um Konrad, von welchem jetzt seit einigen Tagen die Nachrichten ausgeblieben waren; mein Vater fühlte sich in seiner patriotischen Ehre gekränkt und wir beide, Friedrich und ich, trotz des still in unseren Herzen ruhenden Glückes über unsere Wiedervereinigung, waren von dem miterlebten, so heftig mitempfundenen Unglück der Zeit aufs schmerzlichste erschüttert. Und von allen Seiten floß diesem Schmerze immer wieder neue Nahrung zu. In sämtlichen Zeitungsberichten, in allen Briefen aus Verwandten- und Bekanntenkreisen nichts als Klage und Trauer. Da war ein Brief von Tante Kornelie, welche ihr Unglück noch nicht kannte, worin sie in so rührenden Worten von der Furcht sprach, ihr
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