Die Waffen nieder!
seinen. Den hatte ich auch nicht erwartet. Es sah ihm nicht ähnlich, nach seinem bestimmten »Gräfin, das dürfen Sie mir nicht zumuten« und seinem am Wagenschlag gesagten »Ich verstehe – also gar nicht« sich dennoch an einem solchen Tage bei mir einzufinden.
Ich hatte ihn an jenem Abend gekränkt, daß war gewiß; und er vermied es, mit mir zusammenzukommen, das war offenbar. Allein, was konnte ich tun? Ich brannte danach, ihn wiederzusehen, meine damalige Unfreundlichkeit wieder gut zu machen und eine neue solche Plauderstunde zu erleben wie jene in meines Vaters Haus; eine Plauderstunde, deren Reiz mir jetzt noch hundertfach erhöht worden wäre, durch das mir nunmehr klar gewordene Bewußtsein meiner Liebe.
In Ermangelung Tillings brachte mir der nächstfolgende Sonnabend doch wenigstens Tillings Cousine – dieselbe, auf deren Ball ich ihn kennen gelernt. Als sie eintrat, fing mir das Herz zu pochen an; jetzt konnte ich doch wenigstens etwas von demjenigen erfahren, der meine Gedanken so beschäftigte. Ich brachte es jedoch nicht über mich, eine diesbezügliche Frage zu stellen; ich fühlte, daß ich nicht imstande wäre, den gewissen Namen auszusprechen, ohne verräterisch zu erglühen und so unterhielt ich meine Besucherin von hundert verschiedenen Dingen – unter anderen auch vom Wetter – aber nur nicht von dem, was ich auf dem Herzen hatte.
»Ah, Martha,« sagte jene unvermittelt, »ich habe eine Post an Sie zu bestellen: mein Vetter Friedrich läßt Sie grüßen – er ist vorgestern abgereist.«
Ich fühlte, daß mir das Blut aus den Wangen wich.
»Abgereist? Wohin? Wurde sein Regiment versetzt?«
»Nein ... er hat nur einen kurzen Urlaub genommen, um nach Berlin zu eilen, wo seine Mutter auf dem Sterbebette liegt. Der Arme, er dauert mich; denn ich weiß, wie er seine Mutter vergöttert.«
Nach zwei Tagen erhielt ich einen Brief von unbekannter Hand, mit dem Poststempel Berlin. Noch ehe ich nach der Unterschrift geschaut, wußte ich, daß das Schreiben von Tilling kam. Es lautete:
»Berlin, Friedrichstr. 8, 30. März 1863. 1 Uhr nachts.
Teure Gräfin! Ich muß jemandem klagen ... Warum gerade Ihnen? habe ich ein Recht dazu? Nein – aber den unwiderstehlichen Drang. Sie werden mir nachfühlen – ich weiß es.
Hätten Sie die Sterbende gekannt. Sie würden sie geliebt haben. Dieses weiche Herz, dieser helle Verstand, diese heitere Laune, diese Hoheit und Würde – und das alles soll jetzt ins Grab – keine Hoffnung!
Ich habe den ganzen Tag an ihrem Lager verbracht und werde auch die Nacht über hier bleiben – ihre letzte Nacht ...
Sie hat viel gelitten, die Arme. Jetzt ist sie ruhig – die Kräfte schwinden, der Pulsschlag hat beinah schon aufgehört ... Außer mir wachen noch ihre Schwester und ein Arzt im Krankenzimmer.
Ach, diese schreckliche Zerreißung: der Tod! Man weiß doch, daß er alle fällen muß, und doch kann man's nie recht fassen, daß er auch unsere Lieben hinraffen darf. Was mir diese Mutter war, das vermag, ich nicht zu sagen.
Sie weiß, daß sie stirbt. Als ich ankam, heute morgen, empfing sie mich mit einem Freudenschrei:
– Also doch – sehe ich dich noch einmal, mein Fritz! Ich fürchtete so, du kämst zu spät.
– Du wirst ja wieder gesund werden, Mutter, rief ich. – Nein, nein – davon ist keine Rede, mein alter Bub'. Nimm diesem unserem letzten Beisammensein nicht die Weihe durch die üblichen Krankenbettvertröstungen. Sagen wir uns Lebewohl –
Ich fiel schluchzend an der Bettseite in die Knie.
– Du weinst, Fritz? Schau, ich sage dir auch nicht das üble »Weine nicht«. Es ist mir lieb, daß dir der Abschied von deiner besten alten Freundin leid tut. Das bürgt mir, daß ich lange unvergessen bleibe –
– So lang ich lebe, Mutter!
– Erinnere dich dabei, daß ich viel Freude an dir gehabt. Außer der Sorge, die mir deine Kinderkrankheiten bereitet, und dem Bangen, während du im Kriege warst, hast du nur glückliche Gefühle verursacht und hast mir alles tragen helfen, was das Schicksal mir Trübes auferlegt. Ich segne dich dafür, mein Kind.
Jetzt kam wieder ein Anfall ihrer Schmerzen über sie. Wie sie jammerte und stöhnte, wie ihre Züge sich verzerrten – es war herzzerreißend. Ja, es ist ein fürchterlicher, grimmer Feind, der Tod ... und der Anblick dieser Agonie rief mir alle Agonien ins Gedächtnis, welche ich auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten gesehen ... Wenn ich denke, daß wir Menschen bisweilen
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