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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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die alte Kastenabsonderung und -bevorrechtung – anläßlich dieser Feier der symbolisierten Demut.
    Ich weiß nicht, ob den anderen irgendwie religiös-weihevoll zu Mute war; aber ich erwartete das Kommende mit ganz derselben Empfindung, mit welcher man im Theater einem angekündigten Spektakelstück entgegensieht. Ebenso gespannt, wie man da – nachdem die Grüße von Loge zu Loge getauscht, den aufzurollenden Vorhang ansieht, schaute ich nach der Richtung, wo die Chöre und Solisten des bevorstehenden Schaugedränges erscheinen sollten. Die Dekoration war schon aufgestellt – nämlich die lange Tafel, an welcher die zwölf Greise und zwölf Greisinnen Platz zu nehmen hatten.
    Ich war doch froh, gekommen zu sein; denn ich fühlte mich gespannt, was immerhin eine angenehme Empfindung ist, und eine Empfindung, welche momentan von kummervollen Gedanken befreit. Mein steter Kummer war der: »Warum läßt sich Tilling nicht sehen?« Jetzt hatte mich diese fixe Idee verlassen; was ich zu sehen erwartete und wünschte, waren die kaiserlichen und pfründnerischen Mitwirkenden der angesetzten Feier. Und gerade in diesem Augenblicke, wo ich seiner nicht dachte, fielen meine Augen auf Tilling. Soeben nach beendeter Messe waren die Hofwürdenträger in den Saal getreten, gefolgt von der Generalität und dem Offizierkorps; ich ließ meinen Blick gleichgültig über alle diese uniformierten Gestalten schweifen – dieselben waren ja nicht die Träger der Hauptrollen, sondern nur zum Ausfüllen der Bühne bestimmt – da plötzlich erkannte ich Tilling, der gerade unserer Tribüne gegenüber Aufstellung genommen hatte. Es durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Er sah nicht in unsere Richtung. Seine Miene trug die Spur des in den letzten Wochen durchgemachten Leides: es lag ein tieftrauriger Ausdruck in seinen Zügen. Wie gern hätte ich durch einen stummen, innigen Händedruck mein Mitgefühl ihm ausgedrückt! Ich ließ meinen Blick hartnäckig auf ihn geheftet, hoffend, daß dies durch eine magnetische Gewalt ihn zwingen würde, auch zu mir aufzuschauen – aber vergebens.
    »Sie kommen, sie kommen!« rief Rosa, mich anstoßend. »So sieh doch hin ... Wie schön! Wie ein Gemälde!« Es waren die Greise und Greisinnen, angetan in altdeutsche Tracht, welche jetzt hereingeleitet wurden. Die jüngste von den Frauen – so hatten die Zeitungen berichtet – war achtundachtzig, der jüngste von den Männern fünfundachtzig Jahre alt. Runzlich, zahnlos, gebückt; – ich konnte Rosas »Ach wie schön« wahrlich nicht bestätigt finden. Was ihr gefiel, war jedenfalls die Verkleidung. Diese stimmte eigentlich auch vortrefflich zu der ganzen, von mittelalterlichem Geist durchwehten Zeremonie. Die Anachronismen hier waren wir, in unseren modernen Kleidern und mit unseren modernen Begriffen – wir paßten nicht in dies Gemälde.
    Nachdem die vierundzwanzig Alten ihre Sitze an der Tafel eingenommen hatten, trat eine Anzahl goldgestickter und ordengeschmückter, zumeist ältlicher Herren in den Saal: – die Geheimen Räte und Kammerherren; viele bekannte Gesichter – auch Minister »Allerdings« befand sich darunter. Zuletzt folgten die Geistlichen, welche bei der feierlichen Handlung fungieren sollten. Jetzt also war der Einmarsch der Statisten vorüber und die Erwartung des Publikums auf das höchste gespannt.
    Meine Augen waren jedoch nicht so starr, wie diejenigen der übrigen Zuschauer, nach jener Richtung geheftet, wo der Hof erscheinen sollte, sondern lehrten immer zu Tilling zurück. Dieser hatte mich nunmehr gesehen und erkannt. Er grüßte.
    Wieder legte sich Rosas Hand auf meinen Arm: »Martha – ist dir unwohl? Du bist plötzlich blaß und rot geworden – schau'! ... jetzt! jetzt!!«
    In der Tat: der Kapell – will sagen der Oberzeremonienmeister holt seinen Stab und gab das Zeichen, daß das Kaiserpaar nahe. Dies versprach nun allerdings einen lohnenden Anblick, denn abgesehen davon, daß es das höchste war – war es sicherlich eins der schönsten Paare im Lande. Mit Kaiser und Kaiserin zugleich waren auch mehrere Erzherzöge und Erzherzoginnen hereingekommen, und jetzt konnte die Feier beginnen. Truchsessen und Edelknaben trugen die gefüllten Schüsseln herbei, und der Monarch und die Monarchin stellten dieselben vor die sitzenden Alten hin. Das war wieder mehr Gemälde als je. Das Geräte und die Speisen und die Art der Pagen, dieselben zu tragen, erinnerte an verschiedene berühmte Bilder von Festgelagen im

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