Die Waffen nieder!
willkürlich, frohgemut einander dem Tod entgegenhetzen, daß wir der vollkräftigen Jugend zumuten, diesem Feind sich willig zu ergeben, gegen den das müde und gebrechliche Alter sogar noch verzweifelt ringt, es ist – niederträchtig!
Diese Nacht ist schaurig lang ... Wenn die arme Kranke nur schlief – aber sie liegt mit offenen Augen da. Ich verbringe immer halbe Stunden lang regungslos an ihrem Lager, dann schleiche ich mich zu diesem Briefbogen, um ein paar Worte zu schreiben – dann wieder zurück zu ihr. So ist es schon vier Uhr geworden. Ich habe eben die vier Schläge von allen Glockentürmen hallen gehört – es mutet einem so kalt, so teilnahmslos an, daß die Zeit stetig unbeirrt durch alle Ewigkeit fortschreitet, während eben für ein heißgeliebtes Wesen die Zeit aufhören soll – für alle Ewigkeit. Aber je kälter, je teilnahmsloser das All sich zu unserm Schmerz verhält, desto sehnsüchtiger flüchten wir an ein anderes Menschenherz, von dem wir glauben, daß es mitfühlend schlägt. Darum hat mich das weiße Papierblatt, das der Arzt beim Rezeptschreiben auf dem Tische liegen ließ, herangelockt – und darum schicke ich das Blatt an Sie ...
7 Uhr. Es ist vorbei.
– Lebe wohl, mein alter Bub'. Das waren ihre letzten Worte. Darauf schloß sie die Augen und schlief ein. – Schlaf wohl, meine alte Mutter!
Weinend küßt Ihre lieben Hände Ihr zu Tode betrübter
Friedrich Tilling.«
Diesen Brief besitze ich noch. Wie zerknittert und verblaßt sieht das Blatt nicht aus! Nicht nur die verflossenen fünfundzwanzig Jahre haben diese Verwitterung verursacht, sondern auch die Tränen und Küsse, mit welchen ich damals die lieben Schriftzüge bedeckte. »Zu Tode betrübt« – ja – aber auch »himmelhochjauchzend« war mir zu Mute, nachdem ich gelesen. Deutlicher – obwohl kein Wort von Liebe darin stand – konnte kein Brief den Beweis erbringen, daß der Schreiber die Empfängerin – und keine andere – liebte. Daß er in solcher Stunde, am Sterbelager der Mutter, sein Leid nicht am Herzen der Prinzessin auszuweinen sich sehnte, sondern an dem meinen – das mußte doch jeden eifersüchtigen Zweifel ersticken.
Ich überschickte am selben Tage einen Totenkranz aus hundert großen weißen Kamelien, mit einer halberblühten roten Rose drin. Ob er wohl verstehen würde, daß die blassen, duftlosen Blumen der Dahingeschiedenen galten, als Symbole der Trauer, und das glutfarbige Röschen ihm? ...
* * *
Drei Wochen waren vergangen.
Konrad Althaus hatte um meine Schwester Lilli angehalten und einen Korb bekommen. Er nahm jedoch die Sache nicht tragisch und blieb wie zuvor ein eifriger Besucher unseres Hauses und umschwärmte uns in den Salons der Gesellschaft.
Ich drückte ihm einmal meine Verwunderung über seine unerschütterte Vasallentreue aus:
»Es freut mich sehr,« sagte ich, »daß du nicht zürnst; aber es beweist mir, daß dein Gefühl für Lilli doch kein so heftiges war, wie du vorgibst, denn verschmähte Liebe pflegt boshaft und nachträglich zu sein.«
»Du irrst, verehrteste Frau Cousine – ich habe die Lilli rasend gern. Zuerst glaubte ich, mein Herz gehöre dir; du hast dich aber so zurückhaltend kalt erwiesen, daß ich noch rechtzeitig die keimende Leidenschaft erstickte; dann hab' ich mich eine Zeitlang für Rosa interessiert; schließlich aber hat sich meine Neigung bei Lilli fixiert – und dieser Neigung werde ich jetzt treu bleiben – bis an mein Lebensende.«
»Sieht dir ganz ähnlich.«
»Lilli oder keine!«
»Da sie dich aber nicht will, mein armer Konrad?«
»Glaubst du, ich wäre der erste, der einen Korb bekommen, der sich bei derselben einen zweiten und dritten geholt und beim vierten Antrag angenommen wurde? – schon um der Zudringlichkeit ein Ende zu machen? ... Lilli hat sich nicht verliebt in mich, eine nicht ganz erklärliche – aber immerhin eine Tatsache. Daß sie unter so bewandten Umständen der für so viele Mädchen unwiderstehlichen Verlockung, Frau zu werden, widerstanden hat, und auf einen, vom weltlichen Standpunkt annehmbaren Antrag nicht eingegangen ist, das gefällt mir eigentlich sehr gut von ihr, und ich bin noch verliebter als zuvor. Nach und nach wird meine Anhänglichkeit sie rühren und Gegenliebe erwecken; dann sollst du noch meine Schwägerin werden, liebste Martha. Hoffentlich wirst du mir nicht entgegenwirken?«
»Ich? – o nein, im Gegenteil; mir gefällt dein Verharrungssystem. So sollte immer um uns geworben werden
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