Die Waffen nieder!
waren, den Allerhöchsten Hof gesehen zu haben: sie konnten dann ihrerseits als diejenigen, welche die Gesehenhabenden gesehen hatten, wieder minder Bevorzugten sich sehen lassen.
Kaum waren wir hinausgetreten, so stand Tilling vor mir. Er verneigte sich.
»Ich muß Ihnen noch danken, Gräfin Dotzky, für den herrlichen Kranz.«
Ich reichte ihm die Hand – aber konnte kein Wort sprechen.
Unser Wagen war vorgefahren; wir mußten einsteigen und Rosa drängte auch vorwärts; Tilling führte die Hand an die Mütze und wollte zurücktreten. Da machte ich eine heftige Anstrengung und sagte mit einer Stimme, die mir selber ganz fremd klang:
»Sonntag zwischen zwei und drei werde ich zu Hause sein.«
Er verneigte sich stumm und wir stiegen ein.
»Du mußt dich erkältet haben, Martha,« bemerkte meine Schwester, als wir davonfuhren: »Deine Aufforderung klang furchtbar heiser. Und warum hast du mir diesen schwermütigen Stabsoffizier nicht vorgestellt? Ich habe noch selten ein weniger aufheiterndes Gesicht gesehen.«
* * *
Am bestimmten Tage und zur bestimmten Stunde ließ sich Tilling bei mir anmelden. Vorher hatte ich in die roten Hefte folgende Eintragung gemacht:
»Ich ahne, daß der heutige Tag über mein Schicksal entscheiden wird. Mir ist so feierlich und bang, so süß erwartungsvoll zu Mute. Diese Stimmung muß ich in diesen Blättern fixieren, damit, wenn ich einst nach langen Jahren darin blättere, ich mir recht lebhaft die Stunde ins Gedächtnis zurückrufen könne, welcher ich jetzt so bewegt entgegensehe. Vielleicht kommt es ganz anders, als ich denke – vielleicht auch genau so ... jedenfalls wird es mich einst interessieren, zu sehen, wie weit Voraussicht und Wirklichkeit sich deckten. – – –
Der Erwartete liebt mich – das bewies mir sein am Sterbelager der Mutter geschriebener Brief; er ist wiedergeliebt – das muß ihm das Röslein im Totenkranz verraten haben ... Und nun kommen wir zusammen – ohne Zeugen – im Innersten bewegt – er trostbedürftig – ich vom Wunsche zu trösten durchdrungen: ich glaube, es wird gar nicht viel Worte geben ... Tränen in unserer beiden Augen, zitternd vereinte Hände – und wir werden uns verstanden haben ... Zwei liebende, zwei glückliche Menschen – ernsthaft, weihevoll, leidenschaftlich, andächtig glücklich – während in der Gesellschaft die Sache gleichgültig und trocken etwa so verkündet wird! »Wissen Sie schon? die Martha Dotzky hat sich mit Tilling verlobt – eine miserable Partie.« ... Es ist zwei Uhr und fünf Minuten – jetzt kann er jeden Augenblick eintreten. – Die Glocke... dieses Herzklopfen, dieses Zittern, ich fühle, daß – –«
So weit war ich gekommen. Die letzte Zeile ist mit beinahe unleserlichen Buchstaben gekritzelt, ein Zeichen, daß »dieses Herzklopfen, dieses Zittern« keine bloße rhetorische Figur war. Voraussicht und Wirklichkeit deckten sich nicht. Tilling verhielt sich während seines halbstündigen Besuches ganz zurückhaltend und kalt. Er bat mich um Verzeihung für die Kühnheit, welche er gehabt, an mich zu schreiben; er möge dieses Beiseitesetzen der Etikette der Unzurechnungsfähigkeit zugute halten, welche einen Menschen in so schmerzlichen Augenblicken befallen kann. Dann erzählte er mir noch einiges von den letzten Tagen und aus dem Leben seiner Mutter; aber von dem, was ich erwartet hatte – kein Wort. Und so wurde auch ich immer zurückhaltender und kälter. Als er sich zum Gehen erhob, machte ich keinen Versuch, ihn zu halten, und forderte ihn auch nicht auf, wiederzukommen.
Und als er draußen war, stürzte ich wieder zu den noch offen liegenden roten Heften hin und schrieb den unterbrochenen Satz weiter:
»Ich fühle, daß – alles aus ist ... daß ich mich schmählich getäuscht habe, daß er mich nicht liebt und jetzt auch glauben wird, daß er mir ebenso gleichgültig ist, wie ich ihm. Beinahe abstoßend habe ich mich benommen. Ich fühle – er kommt nie wieder. Und doch enthält die Welt keinen zweiten Menschen für mich! So gut, so edel, so geistvoll ist keiner mehr – und so lieb wie ich dich gehabt hätte, Friedrich, so lieb hat dich keine andere, deine Prinzessin – zu der du zurückgekehrt zu sein scheinst,– schon gewiß nicht. Mein Sohn Rudolf, du sollst mein Trost und mein Halt sein. Fortan will ich von Frauenliebe nichts mehr wissen; nur die Mutterliebe soll mir Herz und Leben ausfüllen ... Wenn es mir gelingt, einen solchen Mann aus dir zu bilden, wie jener
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