Die Waffen nieder!
Phrasen sind, Phrasen und Vorwände.
Den Silvesterabend verbrachten wir wieder im Hause meines Vaters. Mit dem Schlage zwölf erhob dieser sein Punschglas:
»Möge der Feldzug, welcher uns in dem neugeborenen Jahre bevorsteht, ein für unsere Waffen glorreicher werden« – sprach er feierlich; – ich stellte mein schon erhobenes Glas auf den Tisch zurück – »und mögen unsere Lieben uns erhalten bleiben!« beschloß er.
Jetzt erst tat ich Bescheid.
»Warum hast du bei der ersten Hälfte meines Toastes nicht angestoßen, Martha?«
»Weil ich von einem Feldzug nichts anderes wünschen kann, als daß er unterbleibe.«
Als wir in unser Hotel und in unser Schlafzimmer zurückgekehrt waren, warf ich mich Friedrich um den Hals.
»Mein Einziger! Friedrich! Friedrich!!«
Er drückte mich sanft an sich:
»Was hast du, Martha? Du weinst ... heute in der Neujahrsnacht? Warum denn das junge 1864 mit Tränen einweihen, mein Liebling? Bist du denn nicht glücklich? Habe ich dich irgendwie gekränkt?«
»Du? O nein, nein, – nur zu glücklich machst du mich, viel zu glücklich – und deshalb ist mir bang.«
»Abergläubisch, meine Martha? Stellst du dir auch neidische Götter vor, welche zu schönes Menschenglück zerstören?«
»Nicht die Götter – die unsinnigen Menschen selber beschwören das Unglück auf sich herab.«
»Du spielst auf den möglichen Krieg an? Es ist ja noch nichts entschieden, wozu denn der frühzeitige Kummer? Wer weiß, ob es zum Kampfe kommt, wer weiß, ob ich mitgehen muß? ... Komm her, mein Liebling, setzen wir uns« – er zog mich neben sich auf das Sofa – »verschwende deine Tränen nicht an eine bloße Möglichkeit.«
»Schon die Möglichkeit ist mir schmerzlich. Wäre es Gewißheit, Friedrich, ich würde nicht sanft an deiner Schulter weinen – ich müßte laut aufschreien und aufjammern ... Aber die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit, daß in dem anbrechenden Jahre du mir durch Armeebefehl aus den Armen gerissen würdest – die genügt schon, mich in Bangen und Trauer zu versetzen.«
»Bedenke, Martha, du gehst ja auch selber einer Gefahr entgegen – wie mir dies dein Weihnachtsgeschenk so lieb verkündet hat – und doch denken wir beide nicht an die grause Möglichkeit, die jeder Frau im Wochenbette beinahe ebenso häufig droht, wie jedem Manne auf dem Schlachtfelde ... Freuen wir uns des Lebens und denken wir nicht an den über unser aller Häupter schwebenden Tod.«
»Du sprichst ja wie Tante Marie, Liebster – als ob unser Los nur von der »Bestimmung« abhinge und nicht von den Unvorsichtigkeiten, Grausamkeiten, Wildheiten und Dummheiten unserer eigenen Mitmenschen. Wo liegt die unabwendbare Notwendigkeit dieses Krieges mit Dänemark?«
»Noch ist derselbe nicht ausgebrochen, noch –«
»Ich weiß, ich weiß: – noch können Zufälligkeiten das Übel verhüten. Aber nicht der Zufall, nicht politische Ränke und Launen sollten über eine solche Schicksalsfrage entscheiden, sondern der feste, aufrichtige Wille der Menschen. Doch was nützt mein »es sollte nicht« und »es sollte« – ich kann die Ordnung der Dinge nicht ändern, nur darüber klagen. Aber darin hilf mir, Friedrich – versuche nicht, mit den landläufigen leeren Ausflüchten mich zu trösten! Du glaubst selber nicht daran – du selbst erbebst vor edlem Widerwillen ... Nur darin finde ich Genugtuung, wenn du mit mir verdammst und beklagst, was mich und unzählige andere so unglücklich machen soll.«
»Ja, mein Herz, wenn es hereinbricht, das Verhängnis, dann will ich dir recht geben; dann will ich dir den Schauder und den Haß nicht verhehlen, den mir der anbefohlene Völkermord einflößt ... Aber heute laß uns noch des Lebens froh sein ... Wir haben einander ja – nichts trennt uns ... nicht die geringste Schranke zwischen unseren Seelen! Laß uns dieses Glück genießen – so lange es unser ist – mit Inbrunst genießen ... Denken wir nicht an die angedrohte Zerstörung desselben ... Ewig kann ja keine Freude dauern. In hundert Jahren ist's doch einerlei, ob wir lang oder ob wir kurz gelebt. Auf die Zahl der schönen Tage kommt es schließlich nicht an, sondern auf den Grund ihrer Schönheit. Die Zukunft bringe, was sie wolle, mein vielgeliebtes Weib – unsere Gegenwart ist so schön, daß ich jetzt nichts fühlen mag, als seliges Entzücken.«
Während er so sprach, schlang er seinen Arm um mich und küßte mein an seiner Brust ruhendes Haupt. Da schwand auch mir die drohende
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