Die wahre Koenigin
die Last des schweren Stoffes von der Schulter.
Sie war so mit dem schwierigen Vorgang beschäftigt, dass sie die Schritte nicht hörte.
„Aha!“
Die Schranktür wurde aufgerissen, und Meredith fiel Brice direkt in die Arme. Hätte er sie nicht gehalten, wäre sie zu Boden getaumelt. Augenblicklich waren die Hunde zur Stelle und wieselten fiepend und kläffend um sie herum.
„Warum belauscht Ihr uns?“, kam es drohend.
Meredith fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Gelähmt vor Schreck, stand sie der vornehmen jungen Frau gegenüber, die sie ungläubig anstarrte.
Wie furchtbar sie aussehen musste! Wie eine zerlumpte Bettlerin. Der Umhang hing ihr von der Schulter und schleifte hinter ihr auf dem Boden. Das Fell hatte sich um ihre Füße verheddert. Fleischbrocken und Brotstücke lagen um sie herum, und gierig schnappten die Hunde danach, bevor sie noch mehr Leckerbissen aus den Manteltaschen zerrten.
„Würdet Ihr bitte erklären, was dies alles soll?“, verlangte Brice.
Meredith saß in der Falle. Es hatte keinen Sinn, zu lügen. „Ich ... ich wollte fliehen, während Ihr mit Eurem Gast beschäftigt wart.“
„Fliehen?“ Die junge Frau trat einen Schritt näher und musterte Meredith neugierig. „Warum wolltet Ihr fliehen?“
„Weil ich hier gegen meinen Willen festgehalten werde“, rief Meredith verzweifelt.
„Brice.“ Die Frau sah ihren Gastgeber ungläubig an. „Sagt das Mädchen die Wahrheit?“
Meredith schöpfte Hoffnung. Bestimmt würde die junge Lady Brice dazu bewegen, sie augenblicklich freizulassen.
Brice hielt Meredith noch immer mit eisernem Griff fest. Der Druck seiner Hand verstärkte sich. „Ja. Es stimmt, was sie sagt.“
„Wer ist sie?“
„Meredith MacAlpin.“
„ Oh, wie aufregend! Ich habe von dem .... Vorfall in der Kirche gehört. Ihr müsst mir alles genau erzählen.“ Ein glitzerndes Funkeln trat in die Augen der jungen Frau. „Das ist alles so ... “ Sie hielt inne und sprach sehr schnell auf Französisch weiter. Dann fiel sie wieder ins Englische. „Was für ein prickelndes, romantisches Abenteuer. Das Herz geht mir über, wenn ich nur daran denke. Ihr seid ein Teufel, Brice Campbell! Ein Schurke und ein Teufel! Und Ihr, Meredith MacAlpin. Was für eine spannende Geschichte Ihr eines Tages Euren Enkeln erzählen werdet.“
„Ihr seid nicht bei Trost! “ Meredith stieß mit dem Fuß wütend das Fell fort und ließ den Umhang von den Schultern fallen. Die Hunde stürzten sich auf die Reste des Mahls und hinterließen ein unansehnliches Schlachtfeld. „Ich werde von einem Barbaren gefangen gehalten und soll auch noch vor Freude Luftsprünge machen?“
Die Miene der jungen Frau änderte sich schlagartig. Sie hob würdevoll den Kopf und maß Meredith mit einem verächtlichen Blick. „Woher nehmt Ihr Euch das Recht, in diesem Ton mit mir zu reden? Kniet sofort nieder und bittet mich um Vergebung.“
Meredith glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Fassungslos sah sie Brice an. Er grinste, was sie nur noch wütender machte. „Wie gemein, anmaßend, hirnlos ...“
Eine eiserne Zwinge umklammerte ihren Arm. „Hütet Eure Zunge, Frau! Ihr wisst wohl nicht, wem Ihr gegenübersteht“, donnerte Brice, aber er konnte ein Lachen kaum unterdrücken.
Meredith begegnete stolz dem hochmütigen Blick der fremden jungen Frau. So leicht ließ sie sich von dieser Person nicht einschüchtern.
„Kniet nieder, Meredith“, befahl Brice. „Erweist Eurer Königin Respekt.“
„Königin?“ Meredith erbleichte. Einen Moment lang starrte sie die Frau vor sich an. Dann fiel sie auf die Knie. „Oh Majestät, vergebt mir. “
Schlagartig wurde ihr alles klar. Mary. Frankreich. Das unbeschwerte Leben am Hof. Francois. Natürlich kannte sie die Geschichte. Ganz Schottland wusste, dass man die junge Königin in ihre Heimat zurückgeholt hatte, wo sie nach dem Tod ihres Mannes Francois, des französischen Kronprinzen, den Thron besteigen sollte.
Meredith kniete vor Mary, der Königin der Schotten.
5. KAPITEL
„Gemein? Anmaßend? Hirnlos?“ Die Königin sprach aufreizend langsam und betonte jedes einzelne Wort, und Meredith zuckte wie unter Peitschenhieben zusammen.
„Sie ist zu weit gegangen, Brice“, sagte Mary kalt. „Ihr habt da eine Frau im Haus, die es in ihrer lebhaften Wesensart mit Euch aufnehmen kann.“
„Oh ja“, sagte Brice ungerührt. Es schien ihn nicht zu beunruhigen, dass die Königin das vor ihr kniende Mädchen noch immer böse
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