Die wahre Koenigin
Brice seinen Stuhl zurück. „Angus, du bist für die Frau verantwortlich, bis ich zurückkomme.“
Die Gesellschaft stand auf. Meredith raffte die Falten ihres Kleides und drückte ihren geheimen Vorrat an den Busen. Die herabhängenden Enden ihres Wollschals bildeten eine perfekte Tarnung. „Ich flehe Euch ein letztes Mal an“, sagte sie zu Brice gewandt, „nehmt mich mit. Bitte.“
„Ihr bleibt. “ Seine Augen blickten kalt, und sein Ton duldete keinen Widerspruch.
„Ihr werdet Eure Härte bereuen“, sagte sie, als er schon fast an der Tür war.
Er drehte sich um und fasste sie am Arm. Da durchschoss ihn wieder jenes verheerende Feuer, und sofort warf er sich seine Dummheit vor. Es war Wahnsinn, diese Frau zu berühren. Es weckte Gefühle, die in seinem Leben keinen Platz hatten. Schnell zog er die Hand fort.
„Ich habe es schon bereut, Euch hierhergebracht zu haben. Trotzdem - Ihr werdet bleiben, bis ich anders entschieden habe.“
Meredith bebte, und sie fragte sich beunruhigt nach der Ursache. War es Campbells Berührung oder ihre Angst, ertappt zu werden?
Plötzlich rissen alle, die im Raum standen, die Köpfe herum. Draußen dröhnte das Klappern von Pferdehufen. Meredith horchte angespannt hinaus. Auch Brice blickte aufgeregt zum Fenster, während seine Männer zu den Waffen griffen und sich kampfbereit machten.
„Steckt eure Schwerter wieder weg“, rief Brice lachend, als die vermeintlichen Angreifer näher gekommen waren. Meredith folgte seinem Blick, und ein Stich durchfuhr sie. War es Eifersucht?
Der Reitertrupp wurde von einer zierlichen jungen Frau mit langen rotbraunen Zöpfen angeführt. Auf ihrem Arm hockte ein Falke. Ihr Gefolge bestand aus einer Schar Männer und Frauen in vornehmen Reitkostümen.
Meredith bemerkte die Veränderung in Campbells Miene. Eben noch düster und grimmig, lächelte er jetzt. Es war ein warmes, sehr sanftes Lächeln.
Wie wundervoll er aussieht, wenn er mich nicht gerade wütend anstarrt, dachte Meredith. Für die andere Frau hatte er ein Lächeln. Wer mochte sie sein? Da war es wieder, dieses schmerzhafte, nagende Gefühl.
Eifersucht! Was für ein Unsinn! Wie konnte sie eifersüchtig auf eine Frau sein, die diesem Wilden ein Lächeln entlockte ...?
Brice schien Meredith vergessen zu haben. Als die Reiterin im Hof vom Pferd stieg, lief er rasch hinaus, gefolgt von Jamie und den Hunden.
Meredith blieb allein im Speiseraum zurück. Sie beobachtete noch, wie Campbells Männer sich zu beiden Seiten des Paares in zwei Reihen aufstellten und stramm und ehrerbietig grüßten. Dann zögerte sie nicht länger. Eine bessere Gelegenheit zur Flucht konnte sich nicht bieten.
Schnell verließ sie den Raum, sah sich sichernd nach allen Seiten um und rannte dann den dunklen Gang zur Bibliothek entlang. Sie nahm den schweren Wollumhang aus dem Schrank und stopfte ihren Proviant in die weiten Taschen. Dann hängte sie sich den Umhang um die Schultern. Er gehörte Brice, und der Saum schleifte auf dem Boden. Es war schwierig, sich in dem Ungetüm zu bewegen.
Meredith zog sich die Kapuze tief über den Kopf und nahm das Fell aus dem Versteck. Auch bei dem schlimmsten Wetter würde es ihr Schutz und Wärme bieten.
Sie schloss die Schranktür und wollte hinausschleichen, als sie draußen plötzlich Stimmen hörte. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Die Stimmen kamen näher. Kopflos vor Angst, rannte Meredith zurück und riss die Schranktür auf. Sie hörte Schritte, und in dem Augenblick, als die Tür sich öffnete, war sie in dem Schrank verschwunden und hielt von innen die Tür zu. Stockschwarze Dunkelheit umhüllte sie.
„Ich kann nicht glauben, dass Ihr hier seid.“ Wie betörend und warm Brice Campbells Stimme klang! Meredith presste die Lippen aufeinander.
„Ich kann es auch noch nicht fassen“, antwortete die Frau lachend. Sie sprach mit einem leichten Akzent.
Meredith erstarrte, denn sie hörte, wie die Hunde aufgeregt an der Schranktür schnupperten.
„Warum habt Ihr keine Boten gesandt, um Euren Besuch anzukündigen? Ich hätte Euch ein schöneres Willkommen bereitet.“
Wieder drang dieses perlende verführerische Lachen an Merediths Ohren. „Ich wollte Euch überraschen. Außerdem gibt es kein schöneres Willkommen, als in Kinloch House sein zu dürfen.“
„Und wie ist es Euch gelungen, Eurem Bruder zu entwischen?“
„James hat neuerdings andere Dinge im Kopf.“ Dieses samtweiche, betörende Lachen. Meredith hätte sich am liebsten die
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