Die wahre Lehre - nach Mickymaus
dort kommen, um mit dir zu reden. Ich warte hier.«
Er verließ sie und ging in den hinteren Teil des Hörsaals. Ein Schwarm von Dukweiler-Anhängern strömte zum Podium, und eine andere Gruppe von Leuten bewegte sich langsam in seine Richtung; einige sprachen leise, einige hatten nachdenklich die Stirn gerunzelt, einige waren beim Gehen in die Beschäftigung mit ihren Taschenrechnern vertieft: Halb und halb, dachte er zufrieden, und er versuchte zu sehen, wie sich die Dinge im feindlichen Lager entwickelten. Er nickte Whitcombe zu, der als erster zu ihm kam. Während sich die anderen langsam heranschoben, unterhielten sie sich in gemäßigtem Ton und mit sorgsam ausgewählten Worten; sie standen unerschütterlich auf seiner Seite, seine Beweise und seine schlüssige Logik hatten sie überzeugt. Man mußte unweigerlich zu seiner Schlußfolgerung kommen, darin waren sie sich einig: die Zeit verlangsamte sich eindeutig, und die Entwicklung lief in eine Richtung, deren äußerst schwerwiegende Folgen sich zeigen würden.
Schließlich lösten sich die Gruppen nach und nach auf; die Zeit für Cocktails war gekommen. Die Podiumsbande führte den Zug an die Bar einer nahegelegenen Kneipe an, die andere Gruppe schlenderte etwas gemächlicher hinterher. Als Judson sich aus ihrer Mitte befreien konnte, blickte er zu Millie, die mit der Andeutung eines Lächelns um die Mundwinkel ruhig strickte. Es ist ganz gut, daß sie die durch das Zeitproblem drohenden Gefahren nicht erkennt, dachte er mit plötzlich aufwallender Zärtlichkeit.
»Wollen wir das Experiment einmal auf eine ganz andere Weise angehen?« hatte sie gefragt.
»Mit welcher Bezugsgröße?«
»Nun«, hatte sie gesagt. »Neun Monate werden uns immer noch wie neun Monate vorkommen.« Und mit dieser schlichten Feststellung hatte sie eins der großen Mysterien des Universums abgetan.
»Judson«, sagte Whitcombe in seiner gedehnten Sprechweise neben ihm. »Wir werden Ihnen eine Einladung zukommen lassen, damit Sie Ihren Vortrag drunten in Texas halten. Wir müssen uns noch darüber unterhalten, welche Zeit am besten dafür in Frage kommt, bevor hier der große Tumult losgeht.«
Judson nickte. Die Arbeit eines Lebens lag vor ihm, mehr als eines Lebens. Er lächelte Whitcombe an. »Ich komme mit Freuden«, sagte er, »wenn ich die Zeit dazu finde.«
Originaltitel: ›O homo, o femina, o tempora‹
Copyright © 1985 by Omni International
(erstmals erschienen in ›Omni‹, Mai 1985)
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Agentur Mohrbooks, Zürich
Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Bonhorst
Illustriert von Jobst Teltschik
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George Turner
Nicht vor den Kindern
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Z wei Ängste – man hätte sie ohne weiteres auch als psychopathische Traumata bezeichnen können – hatte Marianne mit allen Mitgliedern ihres begüterten sozialen Regnums, in dem keiner es nötig hatte zu arbeiten, gemein.
Die erste war der Tod. Die unglaublich teuren antigeriatrischen Behandlungen konnten das Ende nicht ewig hinauszögern und konnten auch nicht – o welch furchterregender Gedanke – vor Unfällen schützen. Der Unfalltod eines Mitglieds dieser exklusiven Kreise war ein Ereignis, über das man nicht sprach, die Beisetzung geheimgehalten und hastig. ›Tod‹ war, wie ›Altern‹, ein schmutziges Wort.
Die andere war der Generationsunterschied, ein Ausdruck, der für das zweiundzwanzigste Jahrhundert hätte erfunden worden sein können, in dem, wie in Mariannes Fall, eine Familie acht Generationen umfassen mochte, die sich alle verabscheuten, und zwar nicht von Herzen. Insbesondere haßten die Jungen die Alten, denen die Anzeichen des Alters ins Gesicht geschrieben standen, und weigerten sich, die Verwandtschaft anzuerkennen.
Die achte Generation, die Kinder, nannte sich ›Befreit‹, und sie ertrugen ihre Eltern mit lässiger Zuneigung, Langeweile, Resignation, Schreikrämpfen oder offener Ablehnung, je nach Veranlagung. Nichts Neues unter der Sonne.
Und Marianne war von Gott mit einer zusätzlichen persönlichen Plage gestraft worden, einer Tochter, Ellaline.
Gramerfüllt lief sie zu ihrem Vater, der mit einundsiebzig kaum älter aussah als sie selbst. Er lauschte ihrer Klage mit einer Geduld, die zur Neige zu gehen drohte, als ihre endlosen Umschreibungen sich einfach nicht mit einem unanständigen Wort abfinden wollten. Ihr soziales Regnum
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