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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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akzeptierte die Feststellung, verstand sie aber nicht; insgeheim vermutete sie, daß Agnes ihr etwas verschwieg und man einfach immer älter wurde.
    »Ich dachte schon, Sie hören gar nicht mehr auf«, sagte Perkins. »Drei Stunden!«
    Ellaline war zerknirscht. »Du mußt am Verhungern sein.«
    »Ich doch nicht, habe in der Küche Mittagessen bekommen.«
    »Dann ist es ja gut.«
    Während Perkins fuhr, schwieg sie nachdenklich. Schließlich fragte sie: »Weißt du, was Sterben ist?«
    »Sie sollen doch nicht so reden!«
    »Sei nicht komisch, Perkins. Weißt du es?«
    »Natürlich. Jeder weiß das.«
    »Ich wußte es nicht.«
    »Und jetzt weißt du es?«
    »Nicht so richtig. So wie Agnes es erklärt, klingt es, als ob man ausgeschaltet wird, wie der Holoviewer oder wie das Licht.«
    »So was Ähnliches ist es auch. Vielleicht eher so, als ob man immer langsamer wird bis man stehenbleibt.«
    »Aber was geschieht dann?«
    »Nichts geschieht dann. Außer vielleicht Träume. Das weiß niemand.«
    Nach einer Weile versuchte sie es wieder. »Agnes ist nicht meine Tante. Sie ist meine Urgroßmutter.«
    »Ich weiß.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das Personal weiß alles über Ihre Familie. Es steht im Staatsarchiv.«
    »Also, wer ist dann der Älteste?«
    »Der alte Jock Higgins.«
    »Wer ist das?«
    »Dein fünffacher Urgroßvater. Er ist fast dreihundert.«
    »Das klingt nach viel.« Eigentlich klang es völlig unverständlich. »Wie ist er?«
    »Das weiß ich nicht. Niemand bekommt ihn je zu Gesicht. Vielleicht ist er zu alt, um sich noch dafür zu interessieren.« Perkins gestattete sich eine wenig gemäßigt befreite Umgangssprache: »Er bezeichnete sich immer als den ›Alten Bastard‹.«
    »Warum?«
    »Keine Ahnung, Miss. Vielleicht um seinen reichen Kindern aus der besseren Gesellschaft eins auszuwischen, weil er selbst niemand Wichtiges war.« Er war Abschaum gewesen, selbst in den Augen eines Dienstboten, aber es gab auch Grenzen der Ausdrucksweise. »Er war der erste Mensch, der jemals behandelt wurde.«
    »Der Allererste?«
    »Genau. Er lag im Sterben …« – Ihr Interesse wuchs schlagartig – »Krebs – und verkaufte sich an ein Labor, das ein menschliches Versuchsobjekt brauchte für Experimente mit totaler Immunisierung. Das bedeutet, einen so hinzukriegen, daß man nicht mehr krank werden kann. Jedenfalls – es funktionierte, und er lebt immer noch.«
    »War er reich?«
    »Der doch nicht. Er bekam seine Behandlung umsonst, der einzige Mensch, der sie jemals umsonst bekommen hat. Er hat sein Geld damit gemacht, daß er die Ärzte Tests mit sich als dem Unsterblichen Mann durchführen ließ; dann gewann er einen Lotteriepreis und ließ einen Börsenmakler sein Geld verwalten und saß schließlich mit Millionen da. Und so kommt es, daß die kleine Ellaline im achten Regnum gelandet ist.«
    »Und warum, zum Teufel«, sagte Ellaline, nur um Perkys Lippen zucken zu sehen, »hat Mami mir all das nicht erzählt?«
    »Vielleicht weiß sie es nicht. Selbst wenn sie es wüßte, würde sie es verschweigen.«
    »Warum?«
    »Wie oft am Tag fragen Sie eigentlich ›Warum‹? Deine Mutter würde nichts von einem Vorfahren wissen wollen, der Boxer in Schaubuden und ein Betrüger war, der nebenbei gelegentlich Einbrüche verübte.«
    Dann mußte er ihr die Begriffe erklären.
    »Hört sich großartig an.«
    »Er war kein netter Mann.«
    »Nicht nett – großartig. Das ist etwas anderes.« Als Perkins in die Auffahrt einbog sagte sie: »Ich werde zu Mami ›tot‹ sagen.«
    »Tun Sie das bloß nicht! Sie wird einen Anfall bekommen.«
    »Oder Migräne oder in Schwermut verfallen.«
    Jetzt war es an Perkins zu fragen. »Was ist Migräne?«
    »So ’ne Art Schwermut, aber laut.«
     
    Sie schätzte, daß sie mit ›tot‹ ihr Glück vielleicht etwas zu sehr herausfordern würde, konnte aber nicht widerstehen, die skandalöse Geschichte des Alten Jock Higgins wiederzugeben, wobei sie darauf achtete, daß es so schien, als hätte Agnes ihr dies erzählt.
    »O gütiger Gott!« stöhnte Marianne, die die anstößigen Einzelheiten sehr wohl kannte, und deren Freunde (in ihrer Gegenwart) alle so taten, als hätten sie keine Ahnung davon. »Erwähne nie wieder diesen Namen! Er ist der Schandfleck unserer Familie.«
    »Aber wenn er nicht gewesen wäre …«
    »ICH WERDE NICHT ZUHÖREN. Und du wirst mir gehorchen! Du wirst nie wieder …«
    Ellaline erkannte den drohenden Verlust der Beherrschung und legte ein hastiges Versprechen

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