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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Daß ich sie zum Alten Bastard bringe?«
    »Warum nicht, gnädige Frau?«
    Agnes erkannte dies als eine gute Frage und stimmte zu, daß eine solch entschlossene Neugier befriedigt werden sollte. Sie hatte jedoch keine Lust, in einen Familienstreit von transregnalen Ausmaßen verwickelt zu werden.
    »Es würde nicht lange dauern«, überredete Perkins sie. »Zehn Minuten dort und dann im Flipper zurück. Mehr als ein kurzer Blick wird nicht nötig sein.«
    »Vielleicht sind wir nicht willkommen.«
    »Ein Besucher aus der achten Generation? Der Alte Bastard würde sich totlachen.«
    »Aber ihre Mutter …«
    Perkins hielt einen unbotmäßigen Finger hoch. »Warum es ihr erzählen? Beeilen Sie sich und überlassen Sie die Erklärungen mir; sie wird froh sein, Ellaline wiederzuhaben und keine unangenehmen Fragen stellen. Obendrein …« – er wandte sich Ellaline zu –, »Sie werden mich doch nicht verraten, oder?«
    Ellaline quietschte: »Du meinst, es Mami erzählen? Sie würde sich nie wieder beruhigen. Der Alte Jock ist für sie ein Horrorvid. Sie würde … würde … zusammenbrechen.« Sie wechselte die Taktik. »Ich werde brav sein, Tante Agnes. Ich schaue bloß hin, das ist alles.«
     
    Die Pflegerin – Dienstbotenschicht, mittleren Alters und besorgt um ihre Stellung – war unentschlossen.
    »Verstehen Sie mich recht, um ihn mache ich mir keine Sorgen. Er fällt fast auseinander, aber er liebt Besucher. Es geht mir um sie. Ich meine, die Regna und all das. Man tut das einfach nicht, oder?«
    »Ich bin des Mädchens Urgroßmutter, und ich tue es sehr wohl. Wenn Mister Higgins gerne Besuch bekommt, nun, wir sind Besucher.«
    »Aber das kleine Mädchen …«
    »Sie hat schon öfter alte Leute gesehen.« Ja, dachte Agnes, mich.
    »Aber nicht so alt. Es gibt niemanden sonst, der so alt ist.«
    Ellaline setzte jenen Gesichtsausdruck auf, der Marianne oft den Tag verdarb. Sie sagte: »Ich werde dem Alten Bastard schreiben und ihm sagen, daß die Hausangestellte mich nicht hereinlassen wollte.«
    Damit war der Fall erledigt.
     
    Er saß in einem Stuhl in der Sonne, auf der Rückseite des seltsamen alten Hauses im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts, das hinten nur einen Rasen hatte, statt eines Partygartens und einer Spielebahn.
    Er war ganz unglaublich winzig; würde man die Decken wegnehmen, dachte Ellaline, wäre er nicht größer als sie selbst. Sie mochte wetten, daß seine Füße nicht bis zur Fußstütze hinunterreichten.
    Seine Handgelenke wiesen auf beiden Seiten große Knochen auf, aber die Arme dahinter waren dünner als ihre und die Haut war schlaff und runzlig und mit braunen Flecken übersät. Die Knöchel seiner Finger waren dicke Knubbel, und die Haut hatte sich fest um die Knochen zusammengezogen; seine Hände lagen auf der Decke wie halb durchsichtige Spinnen, die darauf warteten davonzuhuschen.
    Sein Kopf war ein Totenschädel mit Augen. Er hatte überhaupt kein Haar, damit hatte Jimmy Johnston also recht gehabt, aber seine Augenbrauen waren schwarz und die Augen darunter von einer Art verwaschenem Blau, das so aussah, als hätten sie alles gesehen, das es jemals gegeben hatte.
    Sie schnüffelte, behutsam, da sie nicht unhöflich sein wollte, aber das einzige, was sie riechen konnte, war eine Art Muffigkeit wie in einem alten, leeren Schrank. Vielleicht pinkelte er sich noch nicht voll. Von Kathetern wußte sie nichts.
    Agnes und Perkins blieben stehen, während Ellaline sich ihm langsam näherte.
    Die uralten Augen blinzelten nicht und wandten sich auch nicht von ihr ab, als sie nahe genug kam, um ihn zu berühren. Der bleiche Mund öffnete sich und ließ Zähne erkennen, die nicht echt aussahen (sie waren es auch nicht), sowie die Spitze einer weißlichen Zunge, die die Lippen in Vorbereitung aufs Sprechen leckte. Splittriges Gelächter wie zerbrechende Streichhölzer drang daraus hervor, und die eingefallenen Wangen zogen sich nach oben und erzeugten Falten um die Augen. Eine Stimme ertönte krächzend aus der Höhle.

    »Ich habe seit, weiß der Geier, wann, kein Kind mehr gesehen. Hübsch, nich? Wie heiß’n du, Hübsche?«
    »Ich bin Ellaline.«
    »Netter Name. Wer bin ich? Häh?«
    »Sie sind der Alte Bastard.«
    Das Gelächter wäre ein Gebrüll gewesen, wäre er zum Brüllen noch fähig gewesen, was die Pflegerin herbeirennen ließ. »Bleib mir vom Leibe, blöde Kuh! Hab seit hundert Jahren nich’ mehr gelacht. Hier, Ellaline!«
    Er streckte eine Spinnenhand aus, und aus Höflichkeit

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